Sunday, April 15, 2012

Inspirorama

Ein Charakter, der zu Beginn des Buches eingeführt wird, er könnte Jochen heißen oder Jakob, stellt eine besondere Herausforderung an den Erzähler dar. Anschaulich über Jakob zu schreiben heißt auch, die Fallen eines Zeitgeist-Jargons zu meiden. Denn Jakob lebt zu Beginn völlig in einer Welt, die so vielleicht nur in den 2000er Jahren der westlichen Hemisphäre bestanden hat. Er gehört zu jenen, die alte Unwissende halb bewundernd, halb derrogativ damals als digital natives bezeichnet haben: Er lebt in und von und durch die Medien seiner Zeit, und er benutzt Software und Webseiten, die heute zu beschreiben langweilig und hermetisch klänge und dem Text sofort eine übelriechende Patina von Abgelaufenheit verpassen würde.

Die Vignette, mit der Jakob eingeführt wird, zeigt ihn auf einer Art Kongreß einer Denkfabrik: Eingelullt und umsorgt von einem Großkonzern, der sich völlig affektiert als lernwillig und selbstlos geriert, geben sich ihrerseits junge Menschen, zum Beispiel Jakob, als selbstlos und (bedingt) lernwillig. Sie sind nämlich bereits sehr toll, wie sie ziemlich aufgedreht und unmissverständlich zu verstehen geben—alles sogenannte high-potentials, gefangen aber in einem erstaunlich homogenen, in beängstigend kurzer Zeit geradezu sektenhaft und hermetisch gewordenen group-think1 , in dem und aus dem heraus mit Variablen wie “social responsibility”, “sustainability” und “Inspire!” nur so um sich geworfen wird, und wo das Passwort zum Drahtlosnetzwerk auch gerne zahnlos “POSITIVETERRORISM” heissen darf (ich lüge nicht, sondern dichte, aber ich glaube es fast selber).

Achtung, eine Schlüsselszene: Als Jakobs Kommilitone den gesamten Vorstand des bezahlenden Konzerns unter Johlen dazu auffordert, ihre Krawatten auszuziehen und alle dies jovial tun, wohlwissend, dass man beim Fußballspielen mit Kindern auch einmal etwas schmutzig werden kann—da jedenfalls passiert dort mit Jakob etwas, bei dieser Abschlußveranstaltung seines eigenen Thinktanks namens Stellar 7. Er bricht mit allem, und geht in den Untergrund. Terrorism: Positive.

Jakob wird es später sein, der die Idee vorantreibt, die Terroranschläge auszuweiten auf vormalig als langweilig bis tabu geltende Ziele: Bibliotheken, Große Buchläden, Supermärkte, Kindergeburtstage.



1 Group think, engl. für Gruppendenken, bezeichne ein sozialpsychologisches Phänomen, hatte der immer etwas zu gut aussehende Dozent damals, am Bodensee, erklärt. Das sei so wie als Kennedy sich zum Beispiel in der Schweinebucht-Krise nur mit einer viel zu homogen Gruppe von ähnlich denkenden, ähnlich schlauen Hirnen umgeben habe. Speichellecker, sagte man früher.

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