Wednesday, February 27, 2008

There is freedom in the moment: On the road to “Emergenz des Totalen” (pt. II)

On a gloomy day in London, it all came together, and began to make sense.

“Dann, siehe Symbolwelt, wieder: der Tavistock Square. Ich sehe, zum ersten Mal, weil ich auf dieser Seite der Strasse immer nur abends, im Dunkeln laufe, die verwelkten Blumen und leeren Windlichter hinter dem schweren gusseisernen Zaun des Tavistock Square Parks: 7/7, seven seven, wie das Ereignis wohl unter Londonern heißt. Ich trete auf den Mauerabsatz, halte mich am brusthohen Zaun fest, und studiere die völlig farblos gewordenen, aber nicht vergehen wollenden Sträuße. Über drei Monate ist es her, aber diese hier sind sicher entweder wirklich die allerletzte Garde, oder sie wurden vor kurzem erst hier abgelegt.

Als ich wieder einen Schritt zurücktrete, studiere ich unweigerlich das schwarze Geländer: ob nicht doch das Ereignis im optisch statischen Teil des Platzes seine Spuren hinterlassen hat. Das Blut von der Häuserwand gegenüber hat man entfernt, das ist naheliegend. Aber es gibt und gab ja andere Probleme als Kratzer im Lack des Zauns. Und ich sehe, direkt vor mir, dass einer der alle sechs bis acht Zaunstäbe vorkommenden Zierabschlüsse, in Silber statt schwarz gehalten, unfassbar massiv, ein Zaunstab hat sicher vier Zentimeter Durchmesser, genau dort wo Silber und Schwarz sich treffen angebrochen, fast durchgebrochen, durchgerissen ist. Die Zierkappe neigt sich fast unmerklich fünf, sechs, sieben Grad von der Strasse hinweg, in Richtung des Parks.

Ein Detail, ein leicht beschädigter Zaun. Aber doch ein monströses Zeugnis. In meiner Vorstellung zumindest kann dieser Bruch nur durch im Alltag nicht auftretende Kräfte entstanden sein, kein betrunkener Autofahrer würde es schaffen, dort oben, in Kopfhöhe fast, so selektiv ein Stück des ohnehin ridikül massiven, typisch Londoner Zauns zu beschädigen. Es wird eher eine fliegende Bordwand oder eine Sitzreihe gewesen sein.

Es scheint also, dass der Terror sich dort, in den Details verewigt hat in einer Stadt, die außer in den Seelen ihrer Menschen überall so gut aufgeräumt hat wie möglich.

Das bringt mich zum ersten Gedanken fast dieses Tages: ‘You are on CCTV’, droht ein Pub hier um die Ecke Menschen, die lesen können und gerne in der Mülltonne des Pubs stöbern: Das Schild hängt, etwas zu groß geraten vielleicht, über besagten Mülltonnen. Und in der Tat, CCTV ist überall, und überall wird man darüber auch pflichtschuldig informiert. Big Brother is watching you, so hieß das bei Orwell, und wie habe ich mich als Kind davor gefürchtet. Nun bin ich, sind wir alle jeden Tag auf unzähligen bewegten Bildern. Totalitär ist es freilich nicht, sie haben nicht mal ein Melderegister hier, aber weniger total ist es deshalb ja keineswegs. Wozu ein Melderegister, wenn ich Dich sehe an jeder Ecke, in jedem Pub, und bei der Arbeit.

Hier schließt sich der Kreis, denn Totalität als Begriff ist ja nun gewiss mit dem Namen des für den Geschmack vieler oft etwas zu begeisterten Seismographen Jünger verbunden, und ebenso—oder genau deshalb—sein Wunschleben als Anarch. Und so schließe ich mit Zeilen aus dem Vorwort der sehr, sehr angenehm zu lesenden englischen Übersetzung der Gläsernen Bienen. Dort wird Jünger zitiert mit

‘A happy century does not exist; but there are moments of happiness, and there is freedom in the moment’.”


Apologies to our readers who prefer our English posts.

1 comment:

  1. & plötzlich fielen gestern, heute

    & morgen zusammen

    & das totale verschluckte die symbolwelt

    ...kurzes nichts, bis wir darüber berichten und es benennen würden.

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