Thursday, March 06, 2008

Classics of Camp (III): Brief an den Freund

A satellite came down on my patio yesterday morning: I could not really believe it and was afraid, quite frankly; but once the neighbours’ children were brave enough to dissect it with their spanners and screwdrivers, they found this, well: letter inside. It is printed in Arial, 12 pt, on a US-letter-format sheet of paper. A date, hardly legible, on the top looked like November 1984, which would have been more than two decades ago. Mind you, the book by Georgio Agamben that is apparently mentioned, was not published until late 2003.


“Lieber Freund, ein Tag voll mit recht nutzloser Produktivität (ein Widerspruch in sich): Der Programmierende, Entwickelnde, Denkende hat dem Nagetier im Laufrad etwas nicht Unverwandtes, nur den dramatischen Nachteil, dass er—vermutlich im Gegensatz zum Nager—quasi die erste Ableitung (da war sie wieder) seines Tuns zu bestimmen nicht nur im Stande, sondern fast unwillkürlich gezwungen ist:
Rückschau halten, Ausschau halten, Änderungen, Zuwachsraten des eigenen Wurstens bemessen, und dann natürlich am besten die Enttäuschung wie Muhammad Ali in Kinshasa an den Seilen acht runden lang einfach wegstecken.

Wegstecken, damit der Gegner, sei es (in Alis Fall) George Foreman, sei es der menschliche Neocortex in seiner eben doch: verfluchten, Chimären-gleichen Komplexität und Vielschichtigkeit und die zur Messung bereitstehende Menge an Formeln, Stimuli, Paradigmen und Gerätschaften, nur nichts bemerkt. Also nur nicht einknicken.

Das Bild, das ich Dir sandte, zeigt eine Labortür. Dahinter, im Labor, ist K. am Mikroskop zu erahnen. Das Mikroskop steht selbstredend nicht zum Spass da, sondern ist auf das geöffnete Cranium einer anästhetisierten Ratte gerichtet; schaut man hindurch, so kann man ihr leicht pulsierendes Gehirn und einige Blutgefässe entdecken. Ich wünsche K., der Ratte, und mir, dass seine Bemühungen uns einmal um Wesentliches weiter führen mögen als die meinigen, entstehen seine doch unter großen Opfern von nicht gefragten Geschöpfen. But then again, they live a decent life, and die a painless death.

Ein Zeugenproblem sensu Giorgio Agamben im Übrigen: Der Mensch, sowohl der Forscher als auch der selbsternannte Tierschützer, sie wollen Zeugnis ablegen über ihnen für immer verschlossene Reiche. Die Ratte unter K.’s Mikroskop in meinen Augen dem Muselmann nicht nur in dieser Hinsicht sehr vergleichlich—einmal anästhetisiert und beatmet, gibt es für den fragilen Organismus kein Zurück.

Die Sinnfrage (Zu was ist das gut? also, Zu was bin ich gut?) gehört zum Unproduktivsten, und paradoxerweise auch zum Unvermeidlichsten, was den Mensch und seine Fähigkeit zu dem was ich als Differentialdasein (in Analogie zu den Herren Leibniz und Newton) bezeichnen möchte, auszeichnet. Die Frage (in die ja das alles mündet) nach dem geglückten Lebensvollzug wäre, auch ein schönes Paradoxon, am besten durch ihr Nichtstellen zu beantworten: geglückt ist jener Lebensvollzug, der nicht nach den Maßstäben dieses Glücks fragt. Jener, der also dieser Logik folgend gar nicht messbar sein kann, nicht bestimmt werden kann. Wäre das eine Art der negativen Ableitung, ein Integral, eine Stammfunktion fast? Ein schönes Bild, muss ich noch mehr drüber nachdenken. Das hätte auch die (krasse) Implikation, dass der geglückte Lebensvollzug bereits vor dem Vollzug des Lebens gegeben oder zumindest angelegt ist. Und dass somit auch das bemühte Streben danach auch in dieser Hinsicht Quatsch ist.

Würde mich wundern, wenn du diesen Flash gerade nachvollziehen könntest, komme selbst kaum mit bei meinen Gedanken—was auch ein Kennzeichen des verstörten Tieres ist, oder (um das andere, oben bereits bemühte, hier aber klischeehaft günstige Bild zu bemühen) eines angezählten Boxers.”



Apologies to our readers who prefer our English posts.

3 comments:

  1. The Muselmann? Discussed here also. My German is not very good, but I got the Agamben bit. Thanks.

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  2. Schöner Text, aber ist schon arg simplifiziert, Deine Agamben-Lesart. Gruss aus Kassel, Anne

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  3. Danke für Deinen Kommentar, Anne, unbekannterweise. Der Autor tritt hinter sein Werk zurück, verliert sich im Nebel der geworfenen eponymen Bomben. Aber ich werde die (berechtigte) Agamben-Rüge an ihn ausrichten.

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