Tuesday, November 04, 2008

Heute sind wir alle Amerikaner: Ingo Niermanns JOIN THE U.S. ARMY

Am vergangenen Freitag eröffnete der Autor und Künstler Ingo Niermann in der Berliner Galerie ZERN seine Ausstellung JOIN THE U.S. ARMY, passend zu den heute bevorstehenden Umstürzen im Heimatland dieser großen Militärmacht.

Ich war auch anwesend, geplagt von widerstrebenden Eindrücken – doch am Schluss gewann das Leuchten in meinen Augen, nach der wiederholten gedanklichen Rückkehr zur Kindheit in den frühen 1980er Jahren, als während des NATO-Doppelbeschlusses es meinen Eltern leider nicht geboten schien, ihrem Kind ein ordentliches Gewehr auszusägen, und deshalb nur Holz-Tomahawks (die Äxte, nicht die Raketen) zur Verfügung standen.

WALL OF TIME konnte in den unmittelbaren Turbulenzen nach der Vernissage mit dem deutschen Künstler Ingo Niermann ein kurzes Gespräch führen.

Lieber Ingo Niermann, als wir bei WALL OF TIME von Ihrer Ausstellung JOIN THE U.S. ARMY hörten, zögerten wir keine Sekunde, Ihrem Ruf Folge zu leisten. Und die Eröffnung geriet ja auch zum veritablen Spektakel, von den gestrengen Recruiting Officers der Galerie ZERN über die wunderschönen M-16 Holzgewehre – wer hat diese eigentlich ausgesägt?

…Ein mir nicht bekannter, kundiger Schreiner…

– bis zu Ihrem Drill Instructor Thoralf. Ein sehr guter Name, im Übrigen. Wieso eine Ausstellung, Ihre erste Einzel-Ausstellung, zur US-Armee? Hat diese nicht ein sehr schlechtes Image?

Keine andere Armee ist auch nur halb so mächtig.

Im Begleittext zur Ausstellung wird Bezug genommen auf den Cargo-Kult der auf den Neuen Hebriden Verbreitung erfuhr, eine – bitte korrigieren Sie mich – Form der kultischen Verehrung von US-Cargo-Gütern, die die Verheerungen des Pazifikkriegs an diese Inseln spülten. Ist es tatsächlich so, dass dort bis heute der US-Armee wie einer Gottheit gehuldigt wird? Sie waren 2004 einmal dort, stimmt das?

Cargo-Kulte gibt es auf vielen Südsee-Inseln. Die Güter wurden während des Zweiten Weltkriegs von gegen Japan kämpfenden GIs auf die Inseln gebracht. Auf der Insel Tanna im Inselstaat Vanuatu (ehemals Neue Hebriden) wird der eschatologischen Gottheit John Frum einmal jährlich mit einer eigenen US-Armee gedacht. Christian Kracht und ich hatten im Februar 2004 die Ehre, diesem Fest beizuwohnen, und erfuhren, dass auf der Insel, im Krater des Mount Yasur, auch der Geist von Amerika Zuflucht gefunden hat. Der Geist von Amerika – so auch der Titel eines gemeinsam mit Christian Kracht verfassten Aufsatzes, abgedruckt in Krachts “New Wave” (Köln, 2006) und dem von Chus Martínez herausgegebenen Katalog “Pensée Sauvage” (Frankfurt/M., 2007).

Mir fiel auf, dass sehr viele Un­ge­dien­te und Frau­en Ihrem Ruf Folge leistet­en und sofort und be­reit­wil­lig der U.S. ARMY be­itrat­en. Hatten Sie das geahnt, waren Sie sich dieses Zuspruchs gar sicher im Vorfeld? Und warum wollen nun auf einmal alle der US-Armee angehören? Was ist das Geheimnis?

Die schöne Flagge, die schönen Gewehre und die Macht.

Ein integraler Bestandteil der Ausstellung schien mir neben den Holzgewehren und dem Rekrutierungsprozess selbst die Feilbietung und Aufnahme von frei verfügbarem, hochprozentigem Alkohol zu sein. Ich selbst fürchtete kurzzeitig, mittels des Alkohols vielleicht “shanghait” zu werden und mich am nächsten Morgen auf einem Flugzeugträger der dann leider echten U.S. ARMY wiederzufinden. Dies passierte nicht, aber: Weshalb der Alkohol, der in der echten U.S. ARMY wie in jeder Armee sicher streng verboten und doch Teil der Kultur ist?

Alkohol ist eine klassische Rekrutierungsdroge, die sich – wie ich von an dem Abend anwesenden US-Amerikanern erfuhr – auch heute noch die US-Armee während des Spring Breaks zunutze macht.

Commander Niermann, aufmerksame Besucher Ihrer Ausstellung konnten Zeuge werden, wie Sie wiederholt davon sprachen, dies sei erst der Anfang gewesen, und es gehe “immer weiter”. Wohin bitte geht es immer weiter mit der Niermannschen U.S. ARMY?

Geplant sind weitere Rekrutierungen sowieso Ausbildungscamps mit den bereits Rekrutierten.

Oh. Das betrifft auch mich. — Heute wird gewählt, Sie feiern in Ihrer Ausstellung auch eine große Wahlparty unter dem Motto “My Country, right or wrong”. Sehen Sie direkte Implikationen für die U.S. ARMY durch den Ausgang der Wahl?

Nein.

Vielen Dank für das Gespräch!



Apologies to our readers who prefer our English posts.

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