Alles ist erreicht, wenn wir nicht mehr lügen müssen. So pathetisch stand dieser Satz in einem an Pathos insgesamt nicht armen, mich dennoch oder gerade deshalb jahrelang begleitenden Artikel des leider sich meinem Verständnis mittlerweile völlig entziehenden Ulf Poschardt, in einem Spiegel Spezial “Pop und Politik” aus dem Jahre 1994.
(Als Fussnote sei erwähnt, dass in selbem Heft, das in meinem Bücherregal einen Ehrenplatz hält, der aufs Angenehmste gegen Pathos immune Christian Kracht mit einem Vorabdruck seines ersten Romans vertreten ist; von Taxifahrern, die aussehen wie Nazis, ist die Rede.)
Alles ist also in der Tat erreicht, dachte ich gestern; alles ist doch richtig und wunderbar, und es ist etwas gelungen in meinem Land, wenn ich mit einem in England lebenden Deutschen und einem in Sachsen lebenden Bayern das hervorragende Ad hoc Konzert eines singenden Kraftsportlers besuche, der eine Cover-Version des Überhits “Mongoloid” von Devo im Programm hat, mit homosexuellen, männerbündischen und Riefenstalinistischen Konnotationen völlig selbstverständlich und angenehm post-ironisch um sich wirft in dieser ostdeutschen Hinterzimmer-Galerie als wären es seine Ringergegner, und wenn wir drei im Taxi zurück dann mit unserem iranischen Taxifahrer Pashootan zusammen aufs Lauteste und ebenfalls Unironischste Iron Maiden’s Run to the Hills zelebrieren. Alles ist erreicht, wenn wir nicht mehr lügen müssen.