Wednesday, May 28, 2008

Sils Miron

Vergangenes Wochenende habe ich die Zeitmauer gefunden. Sie ist, überraschend, ein Zaun. Eigentlich eine Hecke und Reste eines Zauns.

Direkt vor der Zeitmauer, so dass man sie nie richtig wahrnehme, weil man ja immer schauen muss, wo man selbst bleibt in der heutigen Zeit, aber auch so dass man nie ganz an ihnen vorbei komme, sind dort: drei Gräber.

Die Zeitmauer verläuft quer über einen kleinstädtischen Friedhof. Das ist interessant, denn es ist eine bereits länger genährte These, dass die Zeit im Kosmos der Kleinstadt anders geht—ein Sprichwort fast—und deshalb auch genauer zu studieren ist. Die Zeitmauer verläuft nach meinen Berechnungen genau mitten durch den Ort, anlässlich eines Besuchs dessen Lorenz Schröter einmal passenderweise schrieb “In der Mitte? Ach, in der Mitte ist nichts”, auf seiner Suche nach der hohlen Welt.

Die drei Gräber, die man dort angebracht und vergessen hat, tragen fünf Namen; man weiss nicht warum, genauso wenig ist bekannt, was es genau mit den hier Beerdigten auf sich hat. Aber die Inschrift auf den drei Kreuzen ist genug, um als kleiner Stolperstein hinaus ins bequeme Nachgeschichtliche uns zu erinnern.

Mich befällt die Idee, dass sich diese Toten mit ihren Gräbern mir in den Weg gelegt haben; wann immer wir vorstossen wollen ins leichte und befreite Nachgeschichtliche, und nun wirklich einmal alles hinter uns lassen wollen—diese ganze alte miserable Sache, die als das Post-Histoire so benannt wurde, keine 10 Jahre her war—immer dann müssen wir, jeder von uns, mit unserem kollektivem oder individuellen Bewusstsein, an diesen Gräbern vorbei.

Es ist zuviel um es in Worte zu packen, und Worte sind nicht dazu geeignet; Sie müssen sich vielleicht selbst einmal dorthinstellen, an die Zeitmauer, und fühlen, was in Ihnen aufsteigt, wenn Sie dort, irgendwo im Schwäbischen Nichts der Behaglichkeit und des fast tödlichen Ennui diese Inschriften auf den Stolpergräbern am Gartenzaun der Geschichte lesen.

Alors, soviel geplappert, soviel unausgesprochen. Es ist ja alles da, in den Namen und den Zahlen:

Sils Miron, † 1944
Alexej Kruschinski und Nikolaj Magerko † 1944
Alexej Mauljudow † 1943 und Pawel Katew † 1942



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