Nach Monaten reich an Wirrungen ist es einigen Leipziger Kulturschaffenden vergangenen Samstag doch noch gelungen, den Autor Christian Kracht in den Osten zu locken. Doch statt durch große Buchhandlungen oder die einschlägigen literarischen Zirkel dieser Stadt erfuhr ich erst am späten Nachmittag durch das Murdochsche Periodikum Myspace.com von einer ad hoc Lesung des enigmatischen Schriftstellers—vielleicht war es ihm selbst unheimlich geworden nach all dem Lob im Mainstream, also wieder Untergrund: “Galerie Bothe & Rillert 20.00 h”. Ich musste natürlich hin, und suchte eine ganze Weile nach dieser Hinterzimmer-Galerie, die vermutlich nur für diesen Abend nach den Großmüttern des effeminierten Galeristen so benannt wurde. Wir standen ab halb neun unschlüssig in einer unrenovierten Wohnung aus der Gründerzeit und schauten verstört unter den fünfundzwanzig, dreißig Besuchern umher: Hipster, Studentinnen und einige verstreute Corps-Geister mit Barbourjacke und Koppelschloß, die Faserland wohl etwas falsch verstanden haben.
Kracht, leise und leicht den kleinen Galerieraum durchmessend, erschien punkt neun in Begleitung seiner Gattin Frauke Finsterwalder, einer Art weiblicher Wiedergängerin seinerselbst. Ihm schien das Ambiente auch etwas unheimlich zu sein, aber er nickte freundlich in die kleine Runde, die nun raunend die Monobloc-Stühle besetzte. Es begann stockend; ein erwartet unlustiger Wissenschaftler im “Bingo Handjob”-T-Shirt versuchte, im mittlerweile legendär zu nennenden Volker-Weidermann-Stil in das Krachtsche Schaffen einzuführen, was dem Abend gleich zu Beginn eine Wendung ins Absurde gab. Ich eilte unter leichtem Unwohlsein um ein warmes Bier, um erst zurückzukommen, als Kracht selbst endlich das Wort hatte.
Er las ohne Mikrophon, und so recht wollte keine Stimmung aufkommen; ich fand nicht hinein in seine Worte, war es 1917 oder 2017, man weiss es nicht. Vielleicht lag es auch an der Clique von Endzwanzigern, stadtbekannt durch etliche Elektronikveranstaltungen; sie kicherten bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit recht laut los, ganz offensichtlich bemüht, sich den hippen Abend nicht durch die an sich eher sperrige Handlung des neuen Kracht-Romans zunichte machen zu lassen. Kracht las circa fünfzig, ziemlich lange Minuten, nur unterbrochen von seinen Korrekturen an der offenbar suboptimal sitzenden Tim und Struppi-Lesebrille, und einigen listigen Blicken ins Publikum bei den hippen Zuhörern wohl besonders gelungen erscheinenden Stellen.
Er endete etwas abrupt, vielleicht wollte er seinen Lesern keine rechte Klimax gönnen, signierte dafür aber hinterher noch einigen Lesern geduldig seine Werke. Wir versuchten, den Dichter noch zu einer Expedition ins hyperreale (read: nicht-existente) Leipziger Nachtleben zu überreden, aber nach einer kurzen Plauderei über den Vornamen von Slavoj Zizeks Ehefrau sowie die Rolle eines gewissen Martin Luthers im unheimlichen Madagascar-Plan verabschiedete sich Kracht; früh schon ginge sein Zug nach Göttingen.
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Studentinnen, wohl ein Mysterium bei Kracht-Lesungen. In Mainz war ich mir nicht sicher, ob manche nicht eigentlich zur Fußballübertragung in den Nachbarraum wollten, wobei die "Namedropping-Qualitäten" schon vom feinsten waren
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