Monday, April 21, 2008

Classics of Camp (IV): 1. Oswald-Spengler-Symposium 1966

«Es war ganz furchtbar. Die beiden hatten seit längerem nichts mehr gesagt, sprachen weder miteinander noch mit mir. So saß ich da, und fragte mich wie es weitergehen könnte mit dieser Reise.

Hier saß ich mit zwei alten Männern, der eine fast ein Greis und der andere zehn Jahre jünger. Jünger. Also, ich meine, Jünger war auch der jüngere. Es klingt jetzt alles sehr kompliziert. Benn hieß der eine, er war gerade achtzig geworden. Ein schwerer, auch kranker Mann. Er schaute immer so aus seinen halbgeschlossenen Lidern hervor, als würde er jede Sekunde einschlafen. Das Gegenteil war aber wahr, er roch und spürte alles um ihn herum, und es war schwer, eine Zigarette aus dem Jackett zu holen, ohne dass er nicht sofort auch nach einer fragte, noch bevor man sie sich angezündet hatte.

Wir waren hierher gefahren, weil er kürzlich zu etwas Geld gekommen war, die Kulturschaffenden hatten sich noch einmal, erneut, im Vorfeld des achtzigsten Geburtstags seiner angenommen. Einige Verleger, ängstlich nichts zu verpassen, hatten sich also mit Vorschussangeboten für eine Art dritten Teil zur “Doppelleben”-Autobiographie überboten. (“Trippelleben, mit drei l, oder Triptychon; Day Tripper, vielleicht” witzelte der notorisch zu läppischen Späßen aufgelegte Jünger.) Ich glaube heute, Benn hat nicht eine Sekunde daran gedacht, jemals auch nur eine Zeile dafür zu schreiben, also auch nur eine Sekunde seiner verbleibenden Lebenszeit für solch eine Lappalie zu verplempern. Aber von dem Geld fuhren wir alle erst einmal in den Urlaub. Der gebrechliche Benn selbst hatte für das milde Klima des Mittelmeers im Frühherbst plädiert; und weder ich noch die anderen hatten dem Wunsch des Alten nicht nur nichts entgegenzusetzen, im Gegenteil deckte es sich mit meinem Wunsch nach gänzlich anderer, aber noch europäischer Luft.

Ich ließ also die beiden Alten dort sitzen, erstmal, die wirkten ja nicht wirklich unglücklich, nur etwas unsynchronisiert. Vielleicht war es einmal mehr so gewesen, dass Benn Jüngers Litanei nur noch durch Vortäuschen eines Wachkomas zu stoppen gewusst hatte und jetzt nicht wusste, wie er aus dieser Nummer wieder heraus käme. Also schwiegen sie. Eher für Dritte unangenehm.

Ich ging den schmalen Weg zurück zum Haus. Ich musste aufpassen, die schmalen Stufen genau zu nehmen und dabei nicht zu nah an die Disteln links und rechts des Weges zu kommen, weil es sehr stach am Bein. Da fragte ich mich auch, wieso die alten Herren sich nie beschwerten auf diesem etwas mühsamen Weg zwischen dem Haus und der Veranda mit Blick über die Hügel der Küste und das Meer. Heulsusen waren sie beide keine.

Wir waren seit fast zwei Wochen hier, zehn Tage vielleicht, und es gab keinen Grund in Panik zu verfallen. Das Stierlein, wie Jünger seine Frau allen Ernstes nannte, war uns bis jetzt die beste Unterhaltung gewesen, die es geben konnte, wenn die beiden Alten gerade einmal nicht miteinander sprachen, so wie jetzt, oder beide nicht zu Späßen aufgelegt waren. Nun war Frau Jünger aber bereits abgereist, ich hatte sie des Morgens zum Bahnhof gebracht. Ich glaube, ihr Mann spürte genau, dass es mit dem Benn zu Ende ging, also wollte er noch bleiben und dabei sein, vielleicht ließe sich etwas schreiben, falls man bei Benn am Totenbett zu sitzen käme.

Und nun saßen da unten zwei zuhause so halbherzig verfemte alte Männer, der eine duldete den anderen, der andere verehrte den einen, und mir war nicht so wohl zumute. Ich weiß auch gar nicht, wenn ich so darüber nachdenke, wieso ich dort dazwischen geriet damals. Die Atmosphäre konnte sich verdüstern nun ohne das leichte, alles tragende Element, wie es Frau Jünger so formidabel dargestellt hatte. Egal; es war wie meist, wenn Freunde kommen und gehen, es ist unklar wie es weitergeht, aber die Veränderung mag auch ganz gut tun. Für morgen war bereits ein neuer Gast angekündigt, und ich zumindest war gespannt, wie sich die feine Stimmung unserer kleinen Bildungs- und Erholungsreise noch entwickeln würde.»



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