Sunday, February 15, 2009

Das Vergnügen, die Empörung singen.

“Weisst Du, vor hundert Jahren, vor: hundert!, hat Marinetti sein futuristisches Manifest hinausgeschleudert. Das habe ich neulich gelesen.” — “Marinetti war doch ein Faschist.” — “Das ist doch nur kennzeichnend, dass er später dann eben daran geglaubt hat; Er dachte, Mussolini überlässt den Künstlern die Macht; war das Benn, der ja auch kurz darauf reingefallen ist in seiner Eitelkeit, der das als Artokratie bezeichnet hat? Nun ja.” — “Und, macht es Dich traurig, dass es schon hundert Jahre alt ist, das Manifest?” — “Ich glaube, Du machst Dich lustig. Aber: Ja, es macht mich traurig. Wo ist unsere Wut? Wo ist dieser Schaum vor dem Mund hin, der die schönsten Blasen trug? Wo ist diese Wut hin? Der Aufbruch.” — “Zweitausend Euro bekommt ein Wissenschaftler heute, wie soll man da wütend sein?” — “Ja, vielleicht ist das das Problem. Aber ich glaube, es ist eher ein Symptom. Kein Druck mehr.” —

“Noch ist es doch nicht zu spät. Ich will mich auch nicht lustig machen, ich spüre ja auch diese Trägheit, diese Dumpfheit. Wir könnten doch neu aufbrechen.” — “2009, das Jahr in dem wir alles hinter uns liessen…Ich weiss nicht. Weisst Du noch, 2004, also: neulich erst. Da waren wir beide noch so voller Bilder, und voller magischer Träume, und voller Pläne. Und jetzt, in diesem neuen Jahr, hundert neue Jahre seit Marinettis durchbrochenen Lampen, elektrischen Herzen, dem Lärm der Straße, sitzen und warten wir matt und dumpf und hirntot; so tot am Leben wie es heute nichtmal mehr die umsorgten und bespaßten Zoobären sind.” — “Kannst Du schnell dranbleiben, ich habe einen Anruf des Vermieters gerade.” — “Ja – ein anderes Mal dann. Wir haben heute auch Karten fürs Theater. Ich verabscheue das Theater. Ich will das alles nicht.” — “Sei nicht so – traurig. Freitag dann?” — “Am Freitag sind es dann genau hundert Jahre.” — “Elektrische Herzen!” — “Siehst Du, Du machst Dich doch lustig.”


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1 comment:

  1. Der Lauf der Dinge: Das erste futuristische Manifest erschien erstmals als Vorsatz zum Buch "Die blauen Frösche" des italienischen Lyrikers Enrico Cavacchioli. Und Marinetti war einst ein französisch schreibender Ästhetizist. Wir warten auf Donnerstag.

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