I see a second version of this draft”
Stuttgart. Ihr unermüdlicher Reporter war für ein neues heimzubringendes Abenteuer in die mythenumrankte Landeshauptstadtsimulation im Süden des Reiches aufgebrochen. Mit der Trashfluglinie “Deutsche Flügel” tuckerten wir durch die Wolken mittenhinein in die schwäbische Waschküche. War es nicht Hergé oder ein anderer Schweizer, der einmal schrieb, der interessante Teil der Welt zeichne sich dadurch aus, dass man am Flughafen nicht durch die an die Fluggeräte geschobenen “Finger” aussteige sondern dass man noch freien Fußes über das Vorfeld oder zumindest zum Bus schreite? Diesem Kriterium folgend gehört Stuttgart ganz klar zum interessanten Teil der Welt. Es roch sofort nach Seife und Rasierwasser und Kraut und Teigwaren.
Die Uhren gehen anders in Stuttgart, und vielleicht ist es kein Zufall, dass sich Ernst Jünger bei seinen seltenen Besuchen beim Verleger Klett in Stuttgart und auch sonst, weit im oberschwäbischen Hinterland, hinter einer Zeitmauer wähnte: Am Eisenbahnhof des Flughafens jedenfalls wird die Zeit der sogenannten Schnellbahnen zwar in Minuten angezeigt, um Vitesse und Esprit zu suggerieren, sollte aber der Ehrlichkeit halber eher in Stunden oder wie in vermeintlich unzivilisierten Teilen des Globus in Tagen berichtet werden: “S3 nach Filderstadt in 79 Minuten”.
In der Schnellbahn Richtung Stadtmitte lernten wir die ebenso charmante wie ungestüm-matronale Islamistik– und Logistik-Studentin Pilomena (“Pippi”) Rotter kennen. Sie verkürzte und versüsste uns die Fahrt durch fast quasi noch selbst erlebte Räuberpistolen aus den Zeiten Hölderlins und Schellings, erwähnte einen legendären Imbiss, “Vegi Vodoo King”, den wir unbedingt aufsuchen müssten, weil dort schon Maximilian Herre und Rezzo Schlauch vor ihrem Weg in den Untergrund gespeist hätten, und sie bot sogar an, uns am nächsten Morgen eine Führung durch die vom Tausendsassa Stauffenberg in Kindertagen bewohnten Gemächer im Schloß zu organisieren.
Vielleicht steht Pilomena für alle Stuttgarter; bei all ihrer rauen Freundlichkeit verstand man sie nur schlecht; sie sprach ein gutturales Schwäbisch, alle Vokale fast liebevoll zu Diphtongen zerkauend. Sie trug schwere Winterstiefel, und eine eher im von Ralph Siegel oder Leslie Mandoki ersonnenen Moskau zu erwartende Bieberfellmütze. Darauf angesprochen erklärte uns Frau Rotter, dass alle Schwaben so herumliefen, und tatsächlich sass uns gegenüber ein an Klaus Kinski im Spaghetti-Schocker “Leichen pflastern seinen Weg” gemahnender Zausel in ebensolchem Zausel-Gewand. Meine Begleiterin und ich kamen uns in unseren noch in Ostdeutschland erworbenen Stan Smith Tennisschuhen und den feinen Halstüchern sehr deplatziert vor.
Heute morgen dann, nach langer, vergeblicher Suche nach der wohl längst eingerissenen Weissenhofsiedlung und nach kurzer Nacht in der feinen Herberge des Dreifarbenhauses, liefen wir durch den nieselnden Regen auf so appetitlich sonst nur in Zürich zu findenden Gehwegen und erwogen, die Rückreise in die andere große Verlagsstadt Leipzig vielleicht lieber zu Fuß als mit der scheppernden Airbus 319 zurückzulegen. Auch könne man vielleicht symbolhaft einige Reclam-Ausgaben Schillers und Hegels dabei in einer Art Prozession von West nach Ost überführen, schlug ich vor, als uns eine verwirrt wirkende Frau bar fast aller Zähne ansprach und nach dem nächsten Telefon fragte; sie habe sich ausgesperrt—soviel ich verstand.
Ich war überfordert, wollte auch die Einheimische nicht mit unbedachten Verweisen auf die bereits erfundene und in anderen Gauen etablierte Mobilfunktelefonie beleidigen und reichte ihr stattdessen, einer Eingebung folgend, den Zettel mit Frau Rotters Adresse. Meine Begleiterin und ich schauten uns an und entschieden fast wortlos auf sofortige Abreise. Wir erreichten gerade noch die Mittagsschnellbahn ins nahe Marbach am Neckar, und ich schreibe Ihnen nun bereits aus einem kleinen Internetcafé an der hessischen Landesgrenze.
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