Thursday, March 12, 2009

Winnenden

for English version please see below

“The human shape is a ghost made of distraction and pain,
Sometimes pure light, sometimes cruel,
Trying wildly to open,
This image held tightly within itself.”

—Rumi, 13th century Persian Sunni mystic

Ein großes Unglück ist geschehen.

Ein großes Unglück ist geschehen in einem Ort, mit dem ich untrennbar verbunden bin. Ein Ort, den ich, auf Krawall gebürstet, als “Schwäbisch-Sibirien” charakterisiert habe zuvor, und anhand dessen ich von der “Flüchtigkeit des Konstrukts Heimat” schrieb.

Ein Ort, von dem ich im weiten Internet vor wenigen Wochen nur ein einziges Bild fand, das ich als lustig und verquer genug, weil so dermaßen un-Winnenden, empfand um meine Suada zu illustrieren; es zeigt einige Rettungskräfte der lokalen freiwilligen Feuerwehr, wie sie bei einer großen Übung in bedrohlich aussehenden Masken und Helmen einen Statisten wegtragen. Ein Ort auch, an dem ich als Kind, genau inmitten der nun Tat-Ort gewordenen Schule und Park, erst mit Staunen einer großen kleinen Übung der lokalen Sicherheitskräfte beiwohnte und alsbald den Schauspielcharakter des Gezeigten langweilig fand.

Ein Ort, den wir in lustvollen und komplexen Verschwörungstheorien stattdessen gerne zum Nabel der Welt hinaufbeschworen, mit Miles Davis’ Schirmherrschaft über den lokalen City-Treff und Usama bin Ladens mittlerweile legendärem Benzindiebstahl im Teilort Schelmenholz, mit Normahls “Winnenden Geisterstadt / abgefuckte Hippiestadt” aus dem Jahre 1979 im Ohr. Ein Ort auch, den der Journalist Lorenz Schröter besuchte, als er über die spielerischste aller Weltenerklärungen, die Hohlwelttheorie, alles erfahren wollte und Winnenden verließ mit der Antwort: “In der Mitte, da ist nichts”.

Es ist alles nur ein Spiel gewesen; alles in Winnenden war immer Spiel, immer Spielplatz, mein Spielplatz, mit allen friedlichen Konnotationen, die das Wort weckt. Heute weiss ich nichts, und die sprudelnden Worte sind nur Worte über den vergangenen Spielplatz Winnenden. Mein echtes Winnenden am Morgen des 12. März 2009 entzieht sich den Worten.

Ein großes Unglück ist geschehen.



English version:

A catastrophe has happened.

A catastrophe has happened at the place from which I cannot separate myself. A place to which I referred in anger once as “Southern German Siberia” and which made me talk about the “fleeting construct of home”.

A place of which, a few weeks ago, I could only find a single image in the wide internet that seemed odd and non-Winnenden enough to illustrate the suada I was about to write; it depicts the local firefighter forces, in harrowing masks and helmets, as they carry a mock injured during a maneuver. It is also the same scenery where I witnessed as a child, quite exactly inbetween the school and park that now have become crime scences, another grande yet small maneuver of the local forces. First I stood in awe, only to become bored all too quickly by the obviously staged character of it all.

It was a place that we enjoyed to turn into the centre of complex conspiracy plots instead, with Miles Davis heading the local summer street festivities, and Usama Bin Laden famously stealing gasoline from a parked car in the Winnenden suburb Schelmenholz, with local punk heroes’ “Winnenden Ghost town / run-down hippie home” ringing in our ears. Journalist Lorenz Schröter even visited this place once to find answers to the most playful of all theories on our planet, the hollow earth theory, and he returned from Winnenden with the answer: “In the middle, there is nothing.”

It all had been simply a game. In Winnenden, everything was playful, it had always been a playground, my playground, including all peaceful connotations such words elicit. Today I know nothing to say, and all the wordy paragraphs here are words on the perished playground of Winnenden. My actual Winnenden on the morning of March 12, 2009, defies any words.

A catastrophe has happened.

1 comment:

  1. und sie, die anderen, berichten. nach acht stunden arbeit habe ich zu oft hingehört. sie berichten so, als ob es noch um etwas ginge. so, als ob es noch zu hoffen gäbe. doch der wahre bote, der auf der bühne hinter der mauer hervortritt, schweigt und übergibt.

    am nächsten tag kaufen sich alle die zeitung und schaffen es nicht über die titelseite hinaus. sie tun so, als ob sie lesen könnten.

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