Tuesday, August 25, 2009

Neues aus der Hirnforschung

Es wird früh dunkel jetzt. Die Rücklichter der Fahrzeuge, die in der Stalinallee auf ihr Grün warten, sind für das kurzsichtige Auge bereits zu Glühwürmchen geworden; Feuerfliegen, wie sie das immer unerwartet poetische Englisch zu nennen weiss. Das rhythmische Knattern der Elektrischen, die für die Kurve behutsam die Fahrt verringert, hat genau das richtige Tempo jetzt und ich will am liebsten hinübergehen und das Ohr an die Schienen legen.

Es wird früh dunkel jetzt. Gerade erst spazierte ich über die große Wiese hinter den wirklich traurigen Häuserzeilen eines längst verblichenen Traumes; jeden Tag ist diese Wiese morgens Türwächter eines Abschieds und abends das Willkommenstor der guten Welt. Heute jedenfalls kamen die Raben wieder, und wie fast jeden Tag fragte ich mich mein Koan, Können Raben weiden?.

Es wird früh dunkel jetzt. Ein Rabe flog langsam, am Rande des Strömungsabrisses, eine Michael Ballhaus zur Ehre gereichende Ellipse um mich und landete einige Meter rechts von mir, um mit seinen Rabenkameraden noch etwas zu Abend zu äsen. Die blauschwarze Zeichnung seiner Federn war jetzt, beim Landungsanflug über dieser verschatteten Wiese, sehr schön anzuschauen. Die Spannweite seiner Flügel ließ mich staunen, und etwas in mir zog sich zusammen und erzeugte diesen Unterdruck, der das Glück in den Poren dazwischen umgehend dehnte.

Es wird früh dunkel jetzt, und das Glück tritt unbehelligt hervor.



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The impenetrable beauty of Time (IV)

“Nachdem […] sich ihre Taschenuhren im Winter und allgemein unter Kampfbedingungen als sehr unpraktisch erwiesen, setzte sich die Armbanduhr beim Militär und schließlich auch in der zivilen Gesellschaft schnell durch und war bei Kriegsende zum allgemeinen Standard geworden.”


In the psychological literature on timing, by far the most influential model has been the internal clock model (Creelman 1962; Treisman 1963).

Internal clocks are hypothetical mechanisms in which a neural pacemaker generates pulses; the number of pulses relating to a physical time interval is recorded by a counter. Internal clock models are generally centralized: one clock is used for all timing tasks. Centralized and distributed mechanisms can be subdivided into models in which the same neurons are timing all intervals or models in which different neurons time different intervals.

For example, we can use the same watch to time both 100 or a 500 msec intervals. However, one could imagine a system in which the initial event triggered an array of watches, each one devoted to a fixed interval: 100, 200, …, 500 msec. In this review, the former model will be referred to as a clock model and the latter as a labeled line or an interval-based model (Ivry 1996).”



Dieser Beitrag ist auf Englisch, doch einiges an der Zeitmauer gibt es auch in der hervorragenden Kultur- und Verwaltungssprache Deutsch zu lesen.

Sunday, August 23, 2009

The next 16 lessons in compassion

1. Beobachten Sie eine Wespe dabei, wie sie, während Sie auf dem Balkon sitzen, innen an Ihrer Fensterscheibe den Ausgang sucht.

2. Spüren Sie dem Bedauern nach, das nach kürzester Zeit sich in Ihnen breitmacht. Vergleichen Sie es mit dem Gefühl der völligen Entnervung, das Sie noch vor wenigen Minuten befallen, ja, beherrscht hatte, als Artgenossen der Wespe—vielleicht die selbe?—Ihnen das Essen so schwer machten.

3. Stehen Sie auf, gehen hinein, und versuchen der Wespe mit einem bereitliegenden ZEIT-Magazin unter die Beinchen zu greifen, im Versuch, es nach draußen zu werfen.

4. Scheitern Sie.

5. Beschreiben Sie stattdessen große Gesten mit den Armen, sprechen Sie mit dem Insekt, und winken es mental nach draußen.

6. Für Naturwissenschaftler: Um sich nicht lächerlich zu machen mit ihrem (erfolgreichen!) Versuch, das Insekt durch mentale Beeinflussung zu lenken, verweisen Sie—vor sich selbst, vor Ihrer Freundin, wer auch immer zugegen ist—auf die Möglichkeit, dass unsere telepathischen Möglichkeiten vielleicht zur Beeinflussung von schweren Objekten und anderen Menschen zu schwach, für ein Insekt aber meistens doch völlig ausreichend sein dürften.

7. Sehen die der Wespe zu, wie sie hinausfliegt. Erfolg; Ihr Erfolg! Freiheit! Malboro-Country, Jochen Distelmeyer, et al.

8. Lassen Sie nicht mehr als eine Minute verstreichen und lauschen dann wieder dieser, jener, nun: Ihrer Wespe.

9. Beobachten Sie die Wespe kraftlos auf Bodenhöhe am Fenster entlang helikoptieren.

10. Denken Sie über eine Konjunktion aus Scheitern an sich, dem Scheitern dieser Wespe und Ihrem Scheitern nach.

11. Seien sie bereit für ein neues Drama, wenn sich genau jetzt diese Wespe in einem für Sie nicht mal zu sehenden Spinnennetz verfängt. Lauschen Sie genau, wie die Frequenz des Flügelschlags dieses Insekts sich ins Extreme, sich ungesund Anhörende steigert.

12. Sehen Sie dieses erneute, nun viel grundsätzlichere Scheitern der Wespe. Welches auch der kleinen, sehr kleinen Hausherrin und Spinne nicht entgangen ist.

13. Knien Sie ganz nah und schauen Sie. Seien Sie Ernst Jünger, der kalte Blick, etc. pp., und schauen Sie sich das mal ganz genau an. Wie hier jemand stirbt. Wie hier jemand anderes sich die Nahrung für die nächsten drei kommenden Winter sichert. Wie erstmal die—immer noch nicht zu sehenden—Fäden betriebsam aber nicht hektisch um das erst noch kämpfende, dann doch merklich verendende Insekt gewoben werden.

14. Ganz wichtig jetzt: Bleiben Sie.

15. Denken Sie zurück an Lektion #2.

16. Denken Sie zurück an Lektion #4.



This is a sequel to the first and critically acclaimed “16 lessons of compassion”.



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Friday, August 21, 2009

Counterfeits, Counteracts, Counterfacts

“Mir ward alles Spiel”
Friedrich Nietzsche

In this picture: Dr Orridge, Dr Patachon

Dr Orridge — “At that time, we were discussing to attack Roosevelt’s lot with a thunderous sea strike to get Phil [Spector] out of his shameful situation. Coincidentally Dr Patachon had just installed a steam-fueled acetate recording facility in the old shed at the Ministergärten on Wihelmstrasse, and it was really about time to get some uplifting children’s crusade tunes down.”

Mr Beetroot, Dr Orridges assistant — “Was it not Dr Patachon who suggested using vessels that can travel under water for that enterprise, too?”

Dr Orridge — “Yes, my dear. It was my secretary of R & D Dr Sybille Jâssnen, though, who brought the then famous reichsdeutsche Feinware MATHEMATISCHES LABOR into the equation. We finally had to abandon the plan as too many of our proud nation’s sons kept kissing the skies over at the Somme. I also got a bit fed-up with it all and moved to Holland in the end, chopping wood, most of the times wearing a cardigan old Patachon had left me as a sign of his devotion.”

Mr Beetroot — “…but always this longing for the Sachsenwald, the pack that then was put to rest near the Ruinenberg at Sanssouci, the aunt in Travemünde, who had that stiff linnen, always smelling a little like sour milk, bringing a shawl, for new adventures, out into the hairy greenweed! — and the holy eel-oath you and Patachon gave? ‘Wo wird einst des Wandermüden / Letzte Ruhestätte sein? / Unter Palmen in dem Süden? / Unter Linden an dem Rhein?’”

Many cheers to Mr Beetroot



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Wednesday, August 19, 2009

Delirium statt Tausch

„Eine andere Erklärung für unser Unglück: Die Welt ist uns gegeben. Was einem aber gegeben wurde, das muß man zurückgeben können. Früher konnte man Dank sagen oder die Gabe mit einem Opfer erwidern. Heute aber haben wir niemanden mehr, dem wir danken könnten. Und wenn wir im Tausch gegen die Welt nichts mehr geben können, dann ist diese ihrerseits unannehmbar.

Wir werden also die gegebene Welt liquidieren müssen. Wir werden sie zerstören müssen, indem wir sie durch eine künstliche, durch und durch konstruierte Welt ersetzen, für die wir niemandem Rechenschaft schulden werden. Daher diese gigantische technische Unternehmung der Eliminierung der realen Welt in all ihren Formen. Alles Natürliche wird aufgrund dieser symbolischen Regel der Gegengabe und des unmöglichen Tauschs völlig negiert werden.“


Es steht ja alles geschrieben. Zehn Jahre ist das alt, wie immer von Markus Sed­lazcek in poetisches, knappes Deutsch übertragen und von den Freunden bei Merve in liebe­voll-lieb­lose Schweizer Grotesk ge­quetscht. Jean Baudrillard hat, wie immer, völlig recht. Dagegen sind selbst die ver­schwitzt­en Öko­nom­en mit ihrer traurigen Ver­suchen, zum Aus­gleich in der Krise noch schnell etwas Anti-Geld her­bei­zu­hallu­zinieren, lächer­lich. Der Tausch ist un­möglich, weil wir zu lange das Nichts negiert haben.



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Friday, August 14, 2009

Versuch über den Müll

“Abfall für alle”
—Dr. R. Goetz


Einen gänzlich unter-erforschten Topos stellt ja die Mülldeponie dar. Dies wurde mir klar, als es – endlich, möchte ich meinen – einmal wieder wirklich nach Müll roch in meiner Straße. Müll, das riecht man ja gar nicht mehr. Natürlich, der Müll­haufen der Geschichte (Kom­mu­nis­mus!), musikalischer Ab­fall, et cetera, sind geläufige und gern gewählte Kampfbegriffe. Aber wir feinen Kulturforscher reden ungern über die gänzlich verschwundene MÜLLDEPONIE.

Das liegt natürlich an den schwitzigen Gesichtern der Landräte, und dem einfach wenig appetitiven Thema der Kreis– und Regional­politik. Aber wir müssen über Müll reden.

Für den bescheidenen Gültigkeits­bereich meiner west­lichen Gesell­schaft gesprochen: Man konnte für viel­leicht dreißig, vierzig Jahre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beobachten, wie Müll einfach auf Halden geworfen wurde. Natürlich sind immer schon ganze Städte auf dem Müll, dem Abraum, dem Schutt ihrer selbst erwachsen. Allein, es entstand dann in diesen wenigen Jahr­zehnten dieses faszinierende Amalgam aus einem kognitiven Zustand, der absoluten Egalheit (sich selbst den Müll vor die Stadttore zu werfen), und seriously toxischer, gemeingefährlicher, niemals verrottender Materialien, wie sie erst die moderne Chemie uns zu produzieren erlaubt hatte.

Nur kurz, zwischen dem Hurra der Nachkriegsjahre und dem fasziniert-fetischisierenden Nein der ökologischen Bewegung in den 1980er Jahren war es also möglich, dieser Kulturrtechnik des erstaunlich un-sophitizierten Wegwerfens zu fröhnen.

Ich gehe durch diese Straße, und der Müll er-innert mich: Ich stelle mir vor, wie es vom Hügel herab immer so interessant stank, und denke an die großen Schaufelradbagger, die immer so leicht sinnlos das Geröll aus Fässern, Windeln, Schrott und Haushaltsabfällen matschend von links nach rechts wuchteten.

Das alles gibt es nicht mehr. Man kann sich fragen, ob der wahnhafte Fiebertraum vom nie verrottenden, ewig (im besten Falle:) strahlenden Müll, wie ich ihn in den Comics des genialischen Chronisten jener Jahre, Gerhard Seyfried, noch sehen kann – ob diese Furcht vor dem Kollaps durch Müll nicht doch etwas übersteigert war und eher einer tief deutschen, andere oft befremdenden Faszination für die Ewigkeit, das Nichts und die Auslöschung entsprang als den ökologischen Realitäten.

Aber auf die eine oder andere Weise hatte dieser Wimpernschlag der Entwicklungsgeschichte, diese ebenso entwaffnend-geniale wie kindlich-kurzsichtige Idee des Sich den Müll einfach vor die Stadttore Werfens und dem Gras beim Wachsen Zuschauens, bald wieder sein Ende gefunden.

Ich selbst lebe in meiner Küche diesen Traum noch, im Privaten, ich werfe, wie früher, alles in die eine, gerade im Sommer schnell stinkende Mülltüte und bringe dann alles hinunter, damit es nach Delitzsch oder Indonesien oder sonstwo gefahren und bestimmt völlig geruchlos verbrannt wird.

Meinen Kindern (die ich übrigens Klaus und Inge nennen möchte, aber dies ist eine andere Geschichte) werde ich nur noch erzählen können wie es war damals, als das leuchtende Orange der 1970er zu muffigem Braun verrottete, und bald wird auch dies nur noch ein Traum, ein verblassender Duft sein, und die letzten acht Menschen, die noch wussten wie Müll riecht, werden ausgestorben sein.



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Tuesday, August 11, 2009

Persönlichkeitsfragebogen am Nachmittag des 11. August, 2009

—für Hans Eysenck, Moritz von Oswald, Nicholas Currie


1. Ich empfinde oft eine ontologische Differenz.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


2. Ich wünsche mir heimlich, dass Usama Bin Laden nie gefasst wird.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


3. Ich möchte Arbeit lieber geben als nehmen.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


4. Moral ist Eitelkeit.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


5. I’d rather prefer an English questionnaire.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


6. Ich will kein Inmich mehr sein.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


7. Ich wäre manchmal gerne unsichtbar.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


8. Ich wünsche mir, dass Usama Bin Laden gefasst wird.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


9. Nur wer nicht wütend ist, kann denken.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


10. Meine Persönlichkeit wird sich nie ändern.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


11. Ich würde gerne mehr sein und wäre weniger seiend.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


12. Ich habe Angst vor einem überfluteten Keller.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


13. Ich habe nie Angst.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu


14. Ich bin eher traurig als wütend, wenn mein Zug Verspätung hat.

trifft sehr zu — trifft eher zu — trifft eher nicht zu — trifft gar nicht zu

Saturday, August 08, 2009

Zeichenlehre

Geschichte wird gemacht, schon wieder, dieses Wochenende. Charles Manson schickte vor vierzig Jahre eine radikale Erneuerung der Defintion von Böse auf den Weg. Die Beatles liefen über einen Füßgängerüberweg, und belebten das Genre der Verschwörungstheorie damit neu: Paul ist tot? Und gehörte dieser VW Käfer nicht auch einmal Charles Manson? Ach nein.

Die Hakenkreuze auf Mansons Stirn jedenfalls drehen in den frühen Jahren mal links, mal rechts herum. Dies erstaunt zumindest, und legt nahe dass Manson in jener Zeit sich sicher intensiv mit der hinduistischen Symbolik der Svastika, स्वस्तिक, auseinandersetzte. Jedoch, virtuose, brutale Semiotiker waren die Manson-Familie von Beginn an, ohne dass man sich sicher sein kann, dass hier Wissen und planvolle Zeichenspiele am Werk waren und nicht vielmehr kruder Bildersturm.

Spielen Sie doch heute, so oder so, einmal die Abbey Road Schallplatte links statt rechts herum ab. Vielleicht macht das die schlimmsten von Paul McCartney’s zahlreichen ästhetischen Irrungen in diesem Spätwerk erträglicher.

Abb. 1: Eine verunglimpfende Schmähcollage, in der das Gesicht des Paul McCartney, offensichtlich geliftet und leer, mit dem erstaunlich ansehnlich gealterten Gesicht des Charles Manson, ein Hakenkreuz ist zu erahnen, übereinander projiziert ist, leicht gefiltert mit RGB 204,0,0.



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Friday, August 07, 2009

Dreifachimpfung

“Verworrensein und Nicht schreiben Können ist noch kein Surrealismus”
—Gottfried Benn


Ich sitze in einem weißen Plastikstuhl. In Belgien fällt alles auseinander, höre ich. Ich entnehme dies einer fast weißen Postkarte, die umseitig den fiktiven Reporter eines non-fiktiven Journals bei seinem (fiktiven) Russland-Abenteuer aus dem Jahre 1929 zeigt. Belgien zerfällt? Im Frühjahr, wenn dickes Blut in dünnen Ärmchen auf 9 Atmosphärenüberdruck durch die flämische Hölle strampelt, frage ich mich ohnehin immer, ob diese eindrücklichen Pflastersteine nicht direkt aus der Zeitmauer herausgebrochen sind einst. Nun liegen Sie dort.

Ein anderer Schamane, Paco sein von Zeitungsblättern umrankter Name, erzählt von Reisen entlang einer anderen, von ihm mythisch aufgeladenen, vor allem aber wesentlich besser präparierten Piste, der Autobahn 38. Er zeigt mir neue Bilder; wieder hat er also eine Gruppe blasierter und vom Posthistoire schon ganz gelangweilter Großstädter ins Südharz gelockt, dieser Jeffrey Dahmer des Speedtourimus. Die Photographien resonieren mit Bildern in mir, die ich längst verloren glaubte; wieder das Kaffee Kolditz, wieder die Storm-Statue, wieder dieser schlimme Tyler-Brulé-McDonalds.

Indes erwähnt in Amerika ein Schriftsteller, dem ein anderer, mit den Kolditzschen und den belgischen Mythen nicht unassoziierter Scharfgeist einmal bei einem französischen Butterhörnchen und Kirschmarmeldade mit etwas starkem Bourbon-Vanille-Aroma vorwarf, doch nur von Sex zu schreiben, in seinem neuen Buch diese weißen Stühle, diese aus Plastik, und feiert auch den Namen des europäischen Experten auf diesem Gebiet, Monoblocist Jens Thiel.

Da wird mir dann vollends etwas schwindelig auf meinem Balkon, zu viele Querbezüge, und die 3-fach-Impfung (REPEVAX) gegen Ironie, Ennuie und Misanthropie vom Anfang der Woche haut wieder rein. Ich hole einen mit einem Putzeimer voll lauwarmem, um nicht zu sagen: heilignüchternen Wasser. Ich reinige das weiße Plastik vom Schmutz; vor allem Reifenabrieb einer dritten, sehr ausgefahrenen Piste, an der wir alle gerne großes Weltengericht halten. Ich gieße mit einer Haltung, die mich selbst an Liebenswürdigkeit erinnert, einen großen Pflanzengast und erwarte, möglichst nichts denkend, die Rückkehr unserer Bel­gien­kor­res­pondentin.



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Wednesday, August 05, 2009

Lektionen des Verschwindens

I found a book on how to be invisible. Einige Übungen:

1. In eine Stadt fahren, die man nicht kennt, und dort Photo­gra­phi­en machen von Plätzen und Straß­en. Menschen, die ak­zidentiell mit­be­lich­tet werden, darf man keines­falls kennen.

2. Auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause die toten Vögel zählen. Kleine Vögel zählen mehr, denn sie sind unserer mit­fühl­enden Natur gemäß an­rühr­ender.

3. Über eine Poetik des Verschwindens nachdenken; kürzere Texte, Sätze, Gedanken.

4. Mit Kindern, und zwar nur noch mit Kindern, über Jean Baudrillard sprechen.

5. Weniger Internet. Alle sogenannten social networks meiden.

6. Die Freizeitangebote nicht wahrnehmen.

7. Leiser sprechen, telefonieren.

8. Weniger telefonieren.

9. Gasförmig leben.

10. Lieben.



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