“Abfall für alle”
—Dr. R. Goetz
Einen gänzlich unter-erforschten Topos stellt ja die Mülldeponie dar. Dies wurde mir klar, als es – endlich, möchte ich meinen – einmal wieder wirklich nach Müll roch in meiner Straße. Müll, das riecht man ja gar nicht mehr. Natürlich, der Müllhaufen der Geschichte (Kommunismus!), musikalischer Abfall, et cetera, sind geläufige und gern gewählte Kampfbegriffe. Aber wir feinen Kulturforscher reden ungern über die gänzlich verschwundene MÜLLDEPONIE.
Das liegt natürlich an den schwitzigen Gesichtern der Landräte, und dem einfach wenig appetitiven Thema der Kreis– und Regionalpolitik. Aber wir müssen über Müll reden.
Für den bescheidenen Gültigkeitsbereich meiner westlichen Gesellschaft gesprochen: Man konnte für vielleicht dreißig, vierzig Jahre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beobachten, wie Müll einfach auf Halden geworfen wurde. Natürlich sind immer schon ganze Städte auf dem Müll, dem Abraum, dem Schutt ihrer selbst erwachsen. Allein, es entstand dann in diesen wenigen Jahrzehnten dieses faszinierende Amalgam aus einem kognitiven Zustand, der absoluten Egalheit (sich selbst den Müll vor die Stadttore zu werfen), und seriously toxischer, gemeingefährlicher, niemals verrottender Materialien, wie sie erst die moderne Chemie uns zu produzieren erlaubt hatte.
Nur kurz, zwischen dem Hurra der Nachkriegsjahre und dem fasziniert-fetischisierenden Nein der ökologischen Bewegung in den 1980er Jahren war es also möglich, dieser Kulturrtechnik des erstaunlich un-sophitizierten Wegwerfens zu fröhnen.
Ich gehe durch diese Straße, und der Müll er-innert mich: Ich stelle mir vor, wie es vom Hügel herab immer so interessant stank, und denke an die großen Schaufelradbagger, die immer so leicht sinnlos das Geröll aus Fässern, Windeln, Schrott und Haushaltsabfällen matschend von links nach rechts wuchteten.
Das alles gibt es nicht mehr. Man kann sich fragen, ob der wahnhafte Fiebertraum vom nie verrottenden, ewig (im besten Falle:) strahlenden Müll, wie ich ihn in den Comics des genialischen Chronisten jener Jahre, Gerhard Seyfried, noch sehen kann – ob diese Furcht vor dem Kollaps durch Müll nicht doch etwas übersteigert war und eher einer tief deutschen, andere oft befremdenden Faszination für die Ewigkeit, das Nichts und die Auslöschung entsprang als den ökologischen Realitäten.
Aber auf die eine oder andere Weise hatte dieser Wimpernschlag der Entwicklungsgeschichte, diese ebenso entwaffnend-geniale wie kindlich-kurzsichtige Idee des Sich den Müll einfach vor die Stadttore Werfens und dem Gras beim Wachsen Zuschauens, bald wieder sein Ende gefunden.
Ich selbst lebe in meiner Küche diesen Traum noch, im Privaten, ich werfe, wie früher, alles in die eine, gerade im Sommer schnell stinkende Mülltüte und bringe dann alles hinunter, damit es nach Delitzsch oder Indonesien oder sonstwo gefahren und bestimmt völlig geruchlos verbrannt wird.
Meinen Kindern (die ich übrigens Klaus und Inge nennen möchte, aber dies ist eine andere Geschichte) werde ich nur noch erzählen können wie es war damals, als das leuchtende Orange der 1970er zu muffigem Braun verrottete, und bald wird auch dies nur noch ein Traum, ein verblassender Duft sein, und die letzten acht Menschen, die noch wussten wie Müll riecht, werden ausgestorben sein.