Monday, March 31, 2008

1975

Ich sitze in einem ganz besonderen Hotel in Nijmegen, Holland, und verstehe kein Wort, wenn die Menschen sprechen. Das ist ein bemerkenswertes Gefühl, das auch das Fremdsein besser approximiert als das Leben im englischsprachigen Ausland, wo nur ein bisschen Akzent im Weg ist üblicherweise.

Dieses Hotel hier ist besonders, weil seine industriell anmutende 1970erhaftigkeit sofort die wärmsten und besten Erinnerungen in mir wachruft—es ist eben doch dies das Jahrzehnt, in dem ich geboren wurde und nach dessen Mitte, also in dessen Blütezeit (nachdem es also seine ästhetische Definition gefunden hatte), ich aufwuchs.

Die dunkelbraunen Holztüren, die Teppiche, die Fassade, die Type der Leuchtschrift. Alles erinnert sofort sehr stark an unseren Stadtteil Schelmenholz, der selbst—in quasi allen seinen bestimmenden visuellen Elementen—eine einzige Hervorbringung der 1970er Jahre ist. Es wird sich zeigen, ob der Rest von Holland und Nijmegen diesen Eindruck bestätigen wird. Sollte Holland für die 1970er Jahre sein, was die Schweiz für die 1960er geworden zu sein scheint: Ein Hort, ein Schrein, ein letztes Resort?


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Friday, March 28, 2008

Time traveler wisdom (IX)

The Wall of Time could possibly be a fence rather than a wall, I realised when I opened my mailbox and found this thoughtful testimony in response to my (by now notorious) Time-oracle question.

It comes straight from Jörg Kühnel, 32, who is a tasteful and eclectic DJ, as well as a booker and label promoter in Cologne, Germany.

Q: “What is Time”?
A: “I often have the feeling not to have enough time; therefore I am often late, as the density of those things I want to do is higher than the time I have at hand for doing so. Therefore Time is a limit of what you can do. It runs along whatever you do and confines it at the same time.

[Oft habe ich das Gefühl zu wenig Zeit zu haben; deshalb komme ich oft zu spät, weil die Dichte der Dinge, die ich tun möchte grösser ist, als die Zeit, die ich tatsächlich für das Tun zur Verfügung habe. Insofern ist die Zeit eine Grenze dessen, was man tun kann. Sie läuft am Tun entlang und begrenzt es zugleich.]”



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Thursday, March 27, 2008

Stars of the Post-Histoire (VII): The Maya

Das heutige Datum lautet, natürlich, 12.19.15.3.8 1 Lamat 16 Kumk’u (angenommen, man benutzt die Korrelationskonstante 584 285)

Man muss sich nicht die Mühe geben und die sogenannten Kreatonisten, jene christlichen Fundamentalisten, die behaupten, die Erde wäre vor gerade einmal 6000 Jahren erschaffen worden—von Gotteshand—mit dem sprichwörtlichen Schaum vor dem Mund bekämpfen und bekriegen, wie der umtriebige Richard Dawkins dies tut. Man muss sie nicht verdammen und fürchten. Man muss sich nicht über ihre Phantastereien beschweren, und sie mit dem Darwinschen Weihwasser bekämpfen wollen.

Man muss sie vielmehr mit der gebotenen Lässigkeit ihrer Phantasielosigkeit und Kurzsichtigkeit überführen—es reicht also eigentlich, mit einem müden Lächeln sich die Einfalt klarzumachen, die solchen Weltbildern innewohnt.

Am besten tut man dies mit einem Blick auf reichhaltige vergangene Kulturen wie jene der MAYA, die mühelos uns fremd erscheinende Mathematik (Vigesimalsystem, if you know what I am saying) mit planetarischer Weitsicht und dieser gewissen Ergebenheit verbanden, und denen das Denken in Zyklen von über 5000 Jahren kein Problem darstellte.

Ich muss im Folgenden einige fleissig-zwänglerische Wikipedia-Autoren zu Wort kommen lassen, auf dass die ganze Schönheit des Maya-Kalender-Systems in dem ihm würdigen Lichte erstrahle:

“Die Maya benutzten für rituelle und zivile Zwecke nebeneinander verschiedene Kalender, die auf einer Tageszählung im Zwanzigersystem beruhen: den rituellen Tzolkin-Kalender, den zivilen Haab-Kalender und die Lange Zählung (long count), mit der längere Zeiträume erfasst werden konnten, die für Himmelsbeobachtungen und Astronomie eine große Rolle spielen. Die Kombinationen von Tzolkin und Haab Daten wiederholen sich nach einer 52 Jahre dauernden Kalenderrunde. Die gegenwärtige Periode des Maya-Kalenders endet aller Wahrscheinlichkeit nach am 21. Dezember 2012.

Das Haab ist ein Solarkalender mit 5-Tages-Interkalation, aber ohne Bindung an den Mond. Der Tzolkin-Kalender is—im Unterschied zu den überaus meisten anderen historischen und heute verwendeten Kalendersysteme—weder an den Sonnen- noch an den Mondrhythmus gebunden. Es sind zahlreiche Spekulationen gemacht worden, ob, und wenn ja, welchen—wohl astronomischen—Vorgaben dieses erstaunliche System folgt. Eine schlüssige Hypothese steht aber noch aus, und erscheint angesichts der schlechten Quellenlage auch wenig wahrscheinlich.

Vollständige Datumsangabe: Der Todestag des Herrschers Pacal I. von Palenque lautet im Maya-Kalender 9.12.11.5.18 6 Edznab 11 Yax. Dabei gibt 9.12.11.5.18 den Tag als Lange Zählung an, 6 Edznab den Tag im Tzolkin-Kalender und 11 Yax ist der Tag im Haab-Kalender.

Lange Zählung: Die Lange Zählung der Tage benötigten die Maya für astronomische Berechnungen und die Geschichtsaufzeichnung. Dabei laufen die einzelnen Stellen (z.B. 9.12.11.5.18) jeweils von 0 bis 19, bis auf die vorletzte Stelle, die nur bis 17 läuft. Die Lange Zählung stellt daher eine Datumsangabe dar, mit der über einen Zeitraum von über 5000 Jahren jeder Tag eindeutig angegeben werden kann.

Haab: Das Haab diente den Maya zu zivilen Zwecken, z. B. zur Berechnung der Saat- und Erntezeiten und ähnelt unserem Kalender, da es ein Sonnenjahr mit 365 Tagen umfasst. Im Haab-Kalender wird das Jahr in 18 “Monate” mit je 20 Tagen unterteilt. Zum Abschluss dieser addierten 360 Tage folgen 5 “Unglückstage” (Wayeb'; Schalttage). Alles in allem ergibt das 365 Tage pro Jahr.

Tzolkin: Für rituelle Zwecke benutzten die Maya den Tzolkin (“Zählung der Tage”), bei dem jeder Tag (Kin) durch eine Kombination einer Zahl (Ton) von 1 bis 13 mit dem Namen einer von 20 Schutzgottheiten (oder Tagesnamen) bezeichnet wird. Ein Tzolkin-Datum bezeichnet daher einen bestimmten Tag in einer Periode von 260 Tagen und wird beispielsweise als 6 Edznab angegeben.

Kalenderrunde: Da der Haab-Kalender 360 Tage (im Gegensatz zum Gregorianischen Kalender) und der Tzolkin-Kalender 260 umfasst, wiederholen sich alle 18.720 Tage (kleinstes gemeinsames Vielfaches von 360 und 260) oder 52 Haab-Jahre die Kombinationen von Haab- und Tzolkin-Daten. Dieser Zeitraum wird als Kalenderrunde bezeichnet, innerhalb derer eine Kombination aus Haab- und Tzolkin-Datum eindeutig ist.”

Etwas esoterischere Denker wie José Argüelles gehen einige Schritte weiter in ihrer Lesart des Maya-Kalenders und ziehen für uns hier an der Zeitmauer inspirierende Parallelen, die Daniel Pinchbeck zusammenfasst: Der Zeitraum des ganz grossen Zyklus (step aside, pathetic creationists) seit dem 11. August 3114 vor Christus bis ins Jahr 2012 stellt ziemlich genau das dar, was wir Geschichte zu nennen übereingekommen sind.

Im Jahre 2012, am 21. Dezember, also treten wir ins Post-Histoire ein. Bleiben nur noch ein paar Fragen: Wusste Hegel davon, und wer sagt Kojève Bescheid?



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Wednesday, March 26, 2008

Leserumfrage — Reader survey

1. Haben Sie auch jeden Morgen tote Marienkäfer an ihrer Küchentür, dort, wo es hinausgeht auf den Balkon? Vielleicht an Ihrer Terrassentür? Und wenn ja, macht Sie das auch etwas traurig, auch wenn Sie es jetzt nicht zugeben?

1. Do you also find dead ladybirds every morning in front of your kitchen window, or wherever you enter your balcony usually? If yes, does this also make you slightly sad, even if you’re not ready to admit this here and now?

Tuesday, March 25, 2008

Wall of Time Employee of the Month: Marvin Gaye

I would like to express my heartfelt thanks to Marvin Gaye (1939–1984) for his efforts on the song “Ain’t no mountain high enough”, where—at 1'40'', right after the song has changed gears into a higher register, in reply to his co-star Tammi Terell, years later to break down on stage in his arms and to die shortly thereafter—Marvin single-handly invents, saves and declares finished Soul music; all of this he achieves with a single, short “whoo” cry-out of excitement in reply to Tammi’s line “My love is alive”, equally plausibly saying “My love is a lie”.

Go and listen. It is all in there, a universe you did not even dream of, in this one burst of sound from the lungs of a dead man, recorded over forty years ago. Thank you, Marvin.


(Strictly speaking, Marvin would qualify for a fruit tart of honour. Or, actually, a whole sweets shop of honour.)


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Saturday, March 22, 2008

Vollsperrung

for O.S., S.R., C.K.

Um zu verstehen, wie Raum und Zeit verwoben sind, muss man nicht die effektheischenden Bücher des Stephen Hawking lesen. Man muss auch nicht Weblogs ins Leben rufen, die diffus nach Zeit benannt sind, auch und gerade wenn Zeit als Phänomen alles andere als den Mittelpunkt des eigenen Denkens darstellt (dafür ist es zu ausuferend auch, und zu sehr mit dem schalen Geruch des Wissenschaftlichen behaftet).

Nein, um Raum und Zeit und ihre Verwobenheit zu erfahren reicht es, an einer der zahlreichen sogenannten Anschlussstellen in das mächtige Rhizom, das die deutsche Autobahn darstellt [1], einzubiegen.

Bringt man dazu noch das leicht übernächtigte Gehirn mit, das es braucht, um im schlichten Autofahren gleich wieder den Raum, die Zeit und Gott am Werke zu sehen,

und ist das Innere dieser Raum-Zeit-Kapsel auch noch erfüllt mit der beruhigenden Stimme eines Dichters, der in einem längst verhallten Moment in einem Tonstudio in ein (den Bass seiner Stimme hyperreal mumifizierendes) Neumann-Mikrophon seine Erzählung von einer so sicher nie stattgefundenen Revolution ( i.e., Um-Kehr) gesprochen hat

—dann kann es einem klar vor das innere Auge treten:

Ich fahre in die Zukunft, die die Vergangenheit des Autos auf der Gegenfahrbahn ist. Besser, auch wenn es das gleiche meint, aber es klingt dramatischer: Ich komme aus der Zukunft der Gegenfahrbahn. Das ist herrlich, fast könnte das Gehirn sich in einem Schauer oder wenigstens einem Hauch von Macht und Überlegenheit ergehen:

Ich weiss, dass Du in wenigen Momenten, in Sekunden oder in Metern zu messen, hinter einer undurchdringlichen Wand aus Blech Dich wirst anstellen müssen. Ich weiss sogar, und Du wirst froh sein, es nicht zu wissen, wie unfassbar lange dieser Metallverschluss sich hinzieht, wie undurchdringlich Dein Anstehen dort hinten also sein wird. So schmerzhaft genau und detailreich und unabwendbar kenne ich Deine Zukunft, dass ich Dich um den Verstand bringen würde, teilte ich Dir mit, dass—hast Du doch einmal diese Obstipation aus stehendem, nutzlos gewordenen Gefährt, schreiendem Kind, abgestandenden Schweigen zwischen den Paaren durchstanden, heute Nacht gegen 22 Uhr vielleicht—Du wirst abfahren müssen, hinausgebeten werden wirst aus unserer schönen Raummaschine, hinab ins irdische Treiben auf den Landstraßen.

Denn dort, wo ich herkomme, auf meinem Ritt auf dem Kondensstreifen des Zeitstrahls, dort habe ich die Zeitlöcher gesehen, diese wunderschönen endlos scheinenden Kilometer ungenutzter Autobahn. Dort vorn (dort hinten?) in Deiner vollgesperrten Zukunft wiederum, in dem, was Dein blinder Fleck werden wird, war es mir vergönnt, meine eigene verpasste Vergangenheit, sozusagen den blinden Fleck vor meiner Geburt, ja genau: jene sagenumwobenenden autofreien Sonntage im 1973er Jahr, doch noch zu erfahren. Welch ein Erlebnis.

Du hingegen wirst leider die anmutige Sanftheit dieser der Landschaft einbeschriebenen, unbenutzten Betonbahn nicht erleben; sie zeigt sich erst, wenn man all die ignoranten Fahrzeugführer mit ihrem Gummi und ihrem Rausch, auch Dich, einmal verbannt, wie es die weisen Ästheten der Autobahnpolizei soeben tun.

Während ich all dies herbeihalluziniere, schleicht sich aus einem stärker der Ratio verhafteten Teil meines Gehirns der—bescheidenere—Gedanke an, dass all dieses prophetisch-machtberauschte Künden von Deiner Zukunft, die ich erlebt habe und von der Du nichts ahnst, genau so gnadenlos gilt für mich und Deine Vergangenheit, die meine Zukunft sein wird.

Ich sollte also nicht so dick auftragen, denke ich, lausche weiter dem namenlosen Held auf seinem Weg zur Verflüchtigung im Autoradio und schiesse mit 150 Kilometern/Stunde in meine ungewisse und mir auf einmal fast gefährlich erscheinende Zukunft.


[1] Zum Thema der Autobahn als (Klang–)Geflecht empfehle ich ausdrücklich das Schaffen von OLAF SCHÄFER, bald nachzulesen im vorzüglichen Interview hier an der WALL OF TIME, sowie kommenden Donnerstag in Berlin seinen Vortrag mit dem Titel “Metrophonie No. 1” im Rahmen der UDK Sound Studies Abschlusspräsentationen.




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Friday, March 21, 2008

Dritte Ableitung eines Briefs aus der Vergangenheit

Mit kindlicher Freude und vorpubertärem Eifer machte ich mich heute Morgen daran, nach meiner etwas verfrühten Ankunft am Bahnhof Paddington die wie eine riesiges Bilderbuch aufklappbaren und zum Blättern einladenden Abfahrtszeittafeln zu durchstöbern:

Ob es nicht tatsächlich einen Zug 16 Uhr 50 ab Paddington geben müsse, heute noch, falls es ihn denn je gegeben hat, so wie ihn Agatha Christie zum Buchtitel sich nahm (oder ihr Übersetzer). Es dauerte dann doch lange, und es erforderte eine gewisse Optimierung der visuellen Suche, doch ich fand ihn. Welch großes, reines, leider unteilbares Glück.

Immer und nur samstags bringt er den geneigten Fahrgast bis nach Reading. 1650 ab Paddington.


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Thursday, March 20, 2008

Botho Strauß on Time (III)

Es ist diese gelungene, eindringliche und stets leicht traurige poetische Figur, die Botho Strauss strichelt für uns, immer aufs Neue, in wunderschönen Iterationen desselben:

“Was aber, wenn er dennoch ein empfindlicher Chronist bleiben möchte und dem Regime des totalen öffentlichen Bewusstseins, unter dem er seine Tage verbringt, weder entkommen noch gehorchen kann? Vielleicht wird er zunächst gut daran tun, sich in Form und Blick zunutze zu machen, worin ihn die Epoche erzogen hat, zum Beispiel in der Übung, die Dinge im Maß ihrer erhöhten Flüchtigkeit zu erwischen und erst recht scharfumrandet wahrzunehmen. Statt in gerader Fortsetzung zu erzählen, umschlossene Entwicklung anzustreben, wird er dem Diversen seine Zonen schaffen, statt Geschichte wird er den geschichteten Augenblick erfassen, die gleichzeitige Begebenheit. Er wird Schauplätze und Zeitwaben anlegen oder entstehen lassen anstelle von Epen und Novellen. Er wird sich also im Gegenteil der vorgegebenen Lage stärker noch anpassen, anstatt sich ihr verhalten entgegenzustellen.”

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Wednesday, March 19, 2008

Zweite Ableitung eines Briefs aus der Vergangenheit

Es ist der Vorabend des Osterfestes, Gründonnerstag. Im Fern­sehen moderiert zum einen, für mich völlig unfassbar, der seit Jahren doch im Grunde nicht mehr vermittelbare Gottschalk eine Bibel-Show (mir wird übel beim Tippen dieses Kompositums), zum anderen diskutiert man auf 3SAT Bezüge von Politik und Religion. Wo sonst. Ist das Hans Küng, der da so schwyzer­deutscht? Wahrscheinlich schon, ach nein, doch nicht.

Heute formulierte ich es beim Kaffeekranz mit den Kollegen so: Im Grunde merke ich nur noch an den Kreuzigungsversuchen auf RTL2, “Welt der Wunder”, mit Studenten in Turnschuhen, die mit EKG-Elektroden auf der Brust für ein paar Minütchen an einem Kreuz in irgendeinem Max-Planck-Institut schmoren, dass es wohl wieder Ostern ist.

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Rainer Maria Langhans

Ich lebe mein Leben in wachsenden Buchmessen, die sich über die Dinge ziehen.

Schon ein Jahr, in regelhaft wiederkehrenden Fachmessen des Buch– und Verlagswesen gemessen, habe ich demnach in dieser Stadt hier verbracht (ist verbringen nicht ein altmodischer, aber korrekter Ausdruck für versorgen, wegräumen, verschicken?), ver– und zerlebt.

Ab jetzt: Zeit nur noch messen in albernen, am besten völlig abwegigen Maßeinheiten: Bücher, Getränke, Publikationen, Anstellungsverträge, und eben: Fachmessen.

Ich werde die letzte vielleicht nicht vollbringen, aber besuchen will ich sie.


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Tuesday, March 18, 2008

On the road to “Emergenz des Totalen” (pt. II)

Ein kleiner Denker gerät ins Stocken. Zu groß und auch noch etwas zu heiss das Eisen, dass er angepackt hat und schmieden will. Ein wirklich toller Titel (inklusive ganz distanziert-seismographischer Selbsteinordnung), eine Zusammenfassung (siehe unten; engl. so passend abstract, dem Jünger’schen Duktus—halb ironisch und halb bewundernd—folgend in nummerierte Abschnitte gefasst) und insgesamt 4134 Worte Rausch, Halluzination, und noch wenig, das dem eigenen Anspruch zu kohärentem Argument genügen würde. Aber lesen Sie selbst.


Die Emergenz des Totalen — Eine Bestandsaufnahme

DIE SITUATION: 1. Vernetzung und Wechselbeziehung durch Austausch und Zugänglichkeit von Information zwischen den Menschen, allen, auch denen, die sich nicht kennen, ist nun möglich, findet statt.

DIE DIAGNOSE: 2. Diese Vernetzung korrodiert tradierte Größen des Raumes und der Zeit. 3. Damit wird Totalheit—wie von den großen bösen Erzählern des 20. Jahrhunderts lediglich erstrebt—möglich.

DER POSTULIERTE MECHANISMUS: 3. Totalheit erzeugt Starre, Starre bedeutet Unfreiheit: Totale Einbindung, Mobilmachung, Gleichschaltung und Kontrollierbarkeit haben für (fundamental als gut und erstrebenswert betrachtete) Eigenschaften wie Freiheit des Willens, geistige und physische Unversehrtheit, und Freiheit der Meinung Folgen—Folgen, die als nachteilig und böse betrachtet werden können.

4. Die neue Totale wird von niemandem angestrebt, keiner kann belangt werden, und jeder Einzelne webt daran mit. Versuche, die Bösewichte zu benennen, führen ins Absurde: “Das Internet”, “Google”, “Microsoft”. Die beiden Letztgenannten können besten Willens als derzeit größere Anteilseigner an der Börse des neuen Totalen verstanden werden.

5. Wie geschieht Böses aus der Totalheit heraus? Hier sind die Lehren aus den totalitären Versuchen des 20. Jahrhunderts durchaus instruktiv: Totalheit wirkt zurück aufs Individuum, verändert sein Erleben—damit zwingend seinen Erlebnisrahmen—damit hochwahrscheinlich auch sein Erleben und seine Interpretationen von Recht und Unrecht. Taugen individuelle, nur auf Empathie oder gar Altruismus gegründete Werturteile bereits in der prä-totalen Gesellschaft wenig, so ist anzunehmen, dass ihr schützender und schonender Einfluss proportional zur Geltung des Individuellen insgesamt schwindet.

DAS FAZIT: 6. Es ist Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts auf verstörende Weise unklar, wie die Antwort des Individuums auf diese totalen Tendenzen aussehen kann, geschweige denn: soll. Das Normative scheitert. Wo kein Schuldiger, da kein Kläger; wo kein Kläger, da kein Unrecht. Das Böse hat sich selbst inkarniert.


Bleiben Sie mir gewogen, während ich versuche, dies alles in vernünftige Worte zu gießen.

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Monday, March 17, 2008

Ffffinally ffffound: The table of time

Possibly the closest we may ever come to a physical instantiation of the Wall of Time—a time table. Instead of writing with a slightly disillusioned undertone about being worn out by our de-scheduled eternal circling at the wall of time, we may prefer to bang our head on this one:

Thanks, Stefanie Roenneke.


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Time traveler wisdom (VIII): The ultimate answer

In our mini series on appropriate definitions of Time, I am glad to finally present to you the ultimate answer, which had been received first at the WALL OF TIME offices. It comes from Patrick Berg, 61, brain scientist, physicist, and programmer:

Q: “What is time”?
A: “Time is what goes by.”

Nothing to add here. Watch out for the forthcoming second full-length interview in our series TIME TRAVELER’s WISDOM.





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Sunday, March 16, 2008

Alles macht weiter

In den einleitenden Worten zu seiner umfassenden Analyse des Konzepts des Posthistoire weist Lutz Niethammer vorsichtig darauf hin, dass es sich bei den Propheten des Posthistoire in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihrer Diagnose womöglich—schlicht, eigentlich—um die Verwechslung des (so nicht erkannten und benannten) Endes oder Scheiterns eines persönlichen, geschichtlichen oder zeitgeistlichen Projekts mit dem (stattdessen proklamierten) Endes aller Geschichte, aller Entwicklung gehandelt haben könnte.

Diese Verwechslung ist Ihnen unterlaufen, mag sich in ihr Denken eingeschlichen haben; und mitnichten ist Niethammer hier die gerne von Literaturwissenschaftlern gezückte sogenannte biographische Methode vorzuwerfen, das griffe zu kurz, auch wenn er—vermutlich nicht zu unrecht—den Umständen persönlicher und ideologischer Um–, Neu– und Desorientierung bei Gehlen, Jünger, Heiddegger, Kojève oder auch Benjamin nachspürt (Ähnliches sagt übrigens Andreas Höfele im hervorragenden Fachblatt Shakespeare Quarterly (1992, 41(1):80–86) über Baudrillard, dessen Posthistoire- und Hyperrealitäts-Diagnose mit einer enttäuschten post-1968 Position in Beziehung zu setzen sei).

Das diagnostizierte Ende der Geschichte, mithin die Problemstellung des Posthistoire sei demnach keine Enttäuschung über das Ende einer Entwicklung, sondern über ein erlebtes Ende von Bedeutung (engl. meaning).

Warum schreibt einer das alles? Weil er über die selbst bereits zwanzig Jahre alten, fast lakonischen Worte Niethammers, ins noch konzisere und schmucklosere Englisch übersetzt, erkennt, dass—wenn all dem, wie zu befürchten steht, ein wahrer Funke innewohnt—seine individuelle, ureigenste Faszination mit dem Ende der Geschichte und dem Einmünden in die Bedeutungslosigkeit, dem obsoleten Kreisen, auch das eigene Leben und die eigene Existenz gemeint sein kann.

Weil es keine Ursachen mehr gibt, weil man über die Ursachen nicht mehr sprechen kann, muss man eben Effekte ohne Unterbrechung herstellen, um Baudrillard (nur unwesentlich) zu paraphrasieren. Weil nichts mehr Sinn hat, muß alles reibungslos funktionieren (im Wortlaut).

Alles macht weiter, auch wenn Bedeutung nicht zu finden ist. Das ist die Zeitmauer, gegen die man eben auch rennen kann.



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Saturday, March 15, 2008

Einer ist hingefahren für uns

“Alle sehr gleich, sehr klein, sehr rund, sehr verträglich, sehr langweilig. Ein kleines, schwaches, dämmerndes Wohlgefühl über alle gleichmäßig verbreitet, ein verbessertes und auf die Spitze getriebenes Chinesentum.” (Friedrich Nietzsche)

Zeitreisen ist möglich. Jetzt. In das jetzt Stattfindende, jeden Tag Stattfindende. In fünfzehn Jahren werde ich sicher meine Forschungsergebnisse eher auf Tagungen in China als in Paris oder San Fransisco vorstellen. Deshalb dringende Kauf– und Leseempfehlung: CHINA RUFT DICH von Ingo Niermann, mit Photographien von Antje Majewski.


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Friday, March 14, 2008

Ramifications (I)


14. März 1942. Heute vor sechundsechzig Jahren. Verzweigungen eines einzigen Tages, die nach vorn wie zurück entlang des Zeitstrahls weisen. Gekreuzte Biographien. Miteinander verspannt und zusammengehalten wie im Blick durch ein Fadenkreuz. Kraków, Polen.

March 14, 1942. Sixty-six years to the day. Ramifications of a single day, pointing backward as well as forward along the arrow of time. Crossing biographies. Locked tight together and held in place as if observed through a recticle. Kraków, Poland.

Thursday, March 13, 2008

As if time could be held responsible for how little I understand.

IR•REC•ON•CIL•A•BLE |iˌrekənˈsīləbəl; iˈrekənˌsī-|
adjective
—(of ideas, facts, or statements) representing findings or points of view that are so different from each other that they cannot be made compatible.

Sixty-eight years ago to the day, the Russian-Finno Winter war came to an end. By the end of the next year, 1941, the man who would ultimately become my loving grandfather (my father was already born, being raised by my grandmother in a village 60 km north of Vienna) was photographed somewhere in the Ukraine, after making his way through a most likely icy river, probably on December 9, 1941.

“I see my grandfather, worn out, exhausted, weary, and tense at the same time. Looking at his arms laying there heavy and restless and tired on his booted legs, I am not able to move my own limbs at all any longer.

This is 1941, the man on this picture is 23 years old, and I—simply—can not imagine how he must have felt: I just cannot tell.

This huge and irreconcilable and intolerable separation between me and the young man on this picture, much younger than I am now, tells me more about war and about my grandfather than I ever wanted to know.”


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“I avoid fluff.”

—He once read the Random House Dictionary, back to front.

Douze points go to the great singer Art Garfunkel, the silent one behind the appalling gnome Paul Simon, for this list here on which he apparently has noted every book he has read since the 1960s. A very smart and aesthetic way to make time perceivable for oneself: Count and note what you have read. “He died at 1407 books”. “Kids are allowed to enter University at 350 books”.

An extra hundred points are granted for the casually-dropped yet unbearably helpful mantra “Avoid Fluff”, also to be found in the New Yorker piece linked above.

You may also want to check out our friends’ Kracht and Nickel Kathmandu Library. Or you may simply write down your own. Just as the one big catalogue book of the total library Borges hallucinates about in the Library of Babel.

The Garfunkel library can also be directly found here. Pleasing to note that Mr Garfunkel recently came about The Year of Magical Thinking by Joan Didion, item #1009.



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Wednesday, March 12, 2008

Erste Ableitung eines Briefs aus der Vergangenheit

—to M.B.

Schnell festgehalten, bevor es verfliegt: Die Unzufriedenheit darüber, wie viel immer verfliegt, weil ich es nicht festhalte. Nicht festhalten kann. So viele Impulse, Erkenntnisse, Klarheiten, Hellsichten, die so unbefriedigend schnell wieder im Nebel meines Daseins abtauchen. Deshalb auch hier und heute nur dieses Abbild davon, die erste Ableitung quasi, das, was davon bleibt. “In mir bleibt nur Deine Spur”, deutscher Schlagerkitsch, Schlagertext. Halt, Kitsch kann es nicht sein, wenn meine Definition davon als die Abwesenheit echter Gefühle wahr sein sollte. In mir jedenfalls bleiben nur Spuren, nur Ableitungen, nur Abbilder. Abbilder von Gedanken, Gefühlen, Plänen, Erkenntnissen, Begegnungen. Everything occurs like a blur.

Dies alles schnell hingestrichelt, wie um der Flüchtigkeit einen adäquaten äußeren Rahmen zu verleihen; bei Keith Jarrett, Das Wohltemperierte Klavier (Buch 1), Mittwochnachmittag, draußen in Camden etwa 14 Grad, unbestimmte Witterung, so unbestimmt wie ich mit den Residuen einer nunmehr dreiwöchigen Erkältungs- und Abgeschlagenheitsorgie, dem so irritierenden, kafkaesken Albtraum von Glamorama immer noch zur Lektüre, und einem Loch im Leib.



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Tuesday, March 11, 2008

Time traveler wisdom (VII)

A fellow time traveler, Dr. Ramin Assadollahi, 34, computational linguist, recently communicated these remarkable words:

Q: “What is time”?
A: “Zeit ist der quantisierte Übergang einer Situation zu einer anderen. Für perzipierende Objekte mit bestimmter Abtastrate kann daher Zeit gestreckt oder gestaucht werden.

(Time is the quantisized transition from one situation to an other. For perceiving objects of a defined sampling rate time can thus be dilated or contracted.)”

Ramin Assadollahi is one of the smartest people I have ever met.


Sunday, March 09, 2008

Botho Strauß on Time (II)

Diese Mini-Serie BOTHO STRAUSS ON TIME zeigt ausgewählte, gelungene Worte des Dichters gleichen Namens, präsentiert zusammen mit MA Stefanie Roenneke, Literaturwissenschaftlerin und Camp-Expertin.

Erwähnenswerterweise endet Strauss im folgenden Exzerpt mit Heraklit, mit dem einst—in den Augen einiger Gelehrter—Geschichte mit Versal-G erst begonnen hatte:

“Mit der Zeit kommen die Menschen immer noch am wenigsten zurecht. Den Raum haben sie sich leichter verfügbar gemacht, jedenfalls den ihnen zugemessenen, den erdumschließenden. Zeit aber bleibt Teil des kosmischen Überschwangs. Mit ihr können die Irdischen nicht nach ihrem Belieben umspringen, können sie weder erobern noch zerstören und nicht zu dem Ihrem zählen. So mussten sie denn allerlei behelfsmäßige Uhren einrichten, die abergläubischen und die geschichtlichen, die biografischen und die ideologischen, so dass aus der unfasslichen Zeit die mächtigsten Täuschungen und Stimmungen des Menschengeschlechts hervorgingen. Mal war es die Endzeit, mal die Neuzeit. Mal war die Vorzeit grau, mal war sie golden. Mal lebte man in der Heils-, dann wieder in der Katastrophen-Erwartung vom Ende aller Tage. Geschichtliche Schockwellen. Sehnsuchtswechsel. Nichts Reales dran. Und oft war dann nur eine Weltbildgefahr im Verzuge, wo man wie gebannt auf die Weltbrandgefahr gestarrt hatte.

Die Zeit ein Kind, sagt Heraklit, ein Kind beim Brettspiel, ein Kind auf dem Throne.”


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Friday, March 07, 2008

On Photography: Ein verpasstes Nein.

Ein Bild, eine Photographie, und ihr Einmünden in das entzeitlichte All des sogenannten Internets.

Gerade flattert es erst herein, es ist so unschuldig noch und frisch, und diese Frische ist es wohl, die mich fasziniert: Wie ein aus dem ewigen Eis geretteter, längst toter Jüngling, in einer Paul Auster– oder Sebald-Erzählung, wie in irgend solch einem kleinen alchemistischen Erzählertrick taucht es auf: Ein Bild aus dem Jahre 1888, so erfahren wir. Einhundertzwanzig Jahre ist das her. Das Bild selbst tut—so ist das stets mit den Essayisten—leider kaum etwas zur Sache, aber sein Eintritt in unser kollektives Bewusstsein, sein Eintritt in das von uns geschaffene Reich der Bilderherrschaft erscheint bemerkenswert.

Das Bild jedenfalls zeigt, so sagt man uns, die taubblinde Helen Keller als Kind noch, mit ihrer Betreuerin. Was daran fasziniert, ist diese Vorstellung des “Auftauchens” des Bildes (ewiges Eismeer):

Die wollweißen Handschuhe, mit denen ein Archivars-Faktotum es zu einem Flachbettsscanner trägt. Wie das Bild dieses eine, entscheidene, alles für immer verändernde Mal nicht von einem menschlichen Auge, sondern vom Licht dieses Bildhäschers erfasst wird. Wie eine Datei Keller_raw.tiff entsteht. Wie es sodann in wenigen Tagen, nachdem vielleicht der Pressechef der New England Historic Genealogical Society seine begleitenden Worte wohlfeil geschliffen hat—Worte die bereits heute der FAZ keinen Abdruck mehr wert erscheinen, das Bild spricht für sich selbst bereits, erstickt jedes Wort, wird vom Redakteur angetextet, von Generationen von Praktikantinnen untertitelt werden für die nun folgende immerwährende Umkreisung im Bild- und Präsenzäther—

Wie also solch ein Moment des Eintretens in unsere allpräsente Bilderwelt sich für ein Stück chemisch behandelte Pappe aus dem Jahre 1888 vollzieht, für dieses Stück Papier, das belichtet wurde, als Gottfried Benn zweijährig ein brandenburgisches Pfarrhaus auf seinen ersten Schritten durchmaß; ein Stück Papier, das in Schachteln und Archiven und auf Dachböden gelegen haben mag, während all diese Jahre lang die sich total verweigernde Schildkröte Lonesome George ([1], von der zu reden sein wird eines Tages) ihre umgrenzten Kreise zog, und immer noch zieht—

Wie also dieses Bild seine 120jährige Gestationszeit, Unschuldszeit, Kindheit verbracht hat und nun gebannt ist, eingefangen, vollends, dem Verfall entzogen ist auch, einem Verfall, der doch dazugehört hätte, wie jeder Verfall, wie jeder Tod, das kann einen schon staunen machen und rätseln über die entzeitlichte enträumlichte Kapazität des totalen Netzes.

Ich trage bei, weil es ja egal sein wird, zur Vervielfältigung, und präsentiere auch hier dieses Bild. Ich lade es so gar erneut auf einen Server meines Anbieters, statt es nur zu verlinken, wie um zu demonstrieren, dass sich nichts mehr ändert hierdurch. Es ist nicht öfters oder anders in dieser Welt dadurch, weil es absolut und total geworden ist, damals, vor einigen Tagen vielleicht (und schon bald wird dies 4000 Jahre her sein), als es digitalisiert wurde.

Es ist egal, es kommt nicht mehr darauf an. Doch während ich die Zeile img src=“…” tippe, denke ich, ja, jedes nicht-digitalisierte Bild, im Ende: jede nie entstandene Photographie ist ein kleiner Sieg, eine kleine erfolgreiche Verweigerung, ein kleines stolzes, würdiges Nein.





[1] siehe hierzu Kamerun, S. (2006) Ein Menschenbild, das in seiner Summe null ergibt; Hörspiel. Köln: Westdeutscher Rundfunk.


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The Great Pyramid instantiates time and space:



The WALL OF TIME’s ancestorial and inspirational project, THE GREAT PYRAMID, will manifest itself in all its convoluted beauty this coming MONDAY, MARCH 10, 2008 at the “small but lovely” (to quote David Woodard) Berlin theatre HEBBEL AM UFER.

Wouldn’t be surprised if the mentioned shore in the venue’s title leads straight into a beautiful, optimistic, multi-faceted ocean of eternity. Be there or be square (cubic, that is).



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Thursday, March 06, 2008

Jean Baudrillard did not take place.

Today a year ago, JEAN BAUDRILLARD left his Earthly vehicle. If he ever inhabited it, that is. Sleep well, Dr. Baudrillard, and come up with a few witty ideas for the next time round. It will never end, probably:

“Die Hysterie der Geschehnisse ist selbst ein Erzeugnis des Endes der Geschichte. Weil es keine Geschichte mehr gibt, dürfen die Ereignisse nie aufhören. Weil es keine Ursachen mehr gibt, muß man Effekte ohne Unterbrechung herstellen. Weil nichts mehr Sinn hat, muß alles reibungslos funktionieren.”

Classics of Camp (III): Brief an den Freund

A satellite came down on my patio yesterday morning: I could not really believe it and was afraid, quite frankly; but once the neighbours’ children were brave enough to dissect it with their spanners and screwdrivers, they found this, well: letter inside. It is printed in Arial, 12 pt, on a US-letter-format sheet of paper. A date, hardly legible, on the top looked like November 1984, which would have been more than two decades ago. Mind you, the book by Georgio Agamben that is apparently mentioned, was not published until late 2003.


“Lieber Freund, ein Tag voll mit recht nutzloser Produktivität (ein Widerspruch in sich): Der Programmierende, Entwickelnde, Denkende hat dem Nagetier im Laufrad etwas nicht Unverwandtes, nur den dramatischen Nachteil, dass er—vermutlich im Gegensatz zum Nager—quasi die erste Ableitung (da war sie wieder) seines Tuns zu bestimmen nicht nur im Stande, sondern fast unwillkürlich gezwungen ist:
Rückschau halten, Ausschau halten, Änderungen, Zuwachsraten des eigenen Wurstens bemessen, und dann natürlich am besten die Enttäuschung wie Muhammad Ali in Kinshasa an den Seilen acht runden lang einfach wegstecken.

Wegstecken, damit der Gegner, sei es (in Alis Fall) George Foreman, sei es der menschliche Neocortex in seiner eben doch: verfluchten, Chimären-gleichen Komplexität und Vielschichtigkeit und die zur Messung bereitstehende Menge an Formeln, Stimuli, Paradigmen und Gerätschaften, nur nichts bemerkt. Also nur nicht einknicken.

Das Bild, das ich Dir sandte, zeigt eine Labortür. Dahinter, im Labor, ist K. am Mikroskop zu erahnen. Das Mikroskop steht selbstredend nicht zum Spass da, sondern ist auf das geöffnete Cranium einer anästhetisierten Ratte gerichtet; schaut man hindurch, so kann man ihr leicht pulsierendes Gehirn und einige Blutgefässe entdecken. Ich wünsche K., der Ratte, und mir, dass seine Bemühungen uns einmal um Wesentliches weiter führen mögen als die meinigen, entstehen seine doch unter großen Opfern von nicht gefragten Geschöpfen. But then again, they live a decent life, and die a painless death.

Ein Zeugenproblem sensu Giorgio Agamben im Übrigen: Der Mensch, sowohl der Forscher als auch der selbsternannte Tierschützer, sie wollen Zeugnis ablegen über ihnen für immer verschlossene Reiche. Die Ratte unter K.’s Mikroskop in meinen Augen dem Muselmann nicht nur in dieser Hinsicht sehr vergleichlich—einmal anästhetisiert und beatmet, gibt es für den fragilen Organismus kein Zurück.

Die Sinnfrage (Zu was ist das gut? also, Zu was bin ich gut?) gehört zum Unproduktivsten, und paradoxerweise auch zum Unvermeidlichsten, was den Mensch und seine Fähigkeit zu dem was ich als Differentialdasein (in Analogie zu den Herren Leibniz und Newton) bezeichnen möchte, auszeichnet. Die Frage (in die ja das alles mündet) nach dem geglückten Lebensvollzug wäre, auch ein schönes Paradoxon, am besten durch ihr Nichtstellen zu beantworten: geglückt ist jener Lebensvollzug, der nicht nach den Maßstäben dieses Glücks fragt. Jener, der also dieser Logik folgend gar nicht messbar sein kann, nicht bestimmt werden kann. Wäre das eine Art der negativen Ableitung, ein Integral, eine Stammfunktion fast? Ein schönes Bild, muss ich noch mehr drüber nachdenken. Das hätte auch die (krasse) Implikation, dass der geglückte Lebensvollzug bereits vor dem Vollzug des Lebens gegeben oder zumindest angelegt ist. Und dass somit auch das bemühte Streben danach auch in dieser Hinsicht Quatsch ist.

Würde mich wundern, wenn du diesen Flash gerade nachvollziehen könntest, komme selbst kaum mit bei meinen Gedanken—was auch ein Kennzeichen des verstörten Tieres ist, oder (um das andere, oben bereits bemühte, hier aber klischeehaft günstige Bild zu bemühen) eines angezählten Boxers.”



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Botho Strauß on Time (I)

Welcome to our new series: BOTHO STRAUSS ON TIME. Inspired by the weird greatness of Botho, previously cited in this notebook, we would love to present a few simple quotations from his manifold oeuvre. This series is co-authored by literature studies MA Stefanie Roenneke, Camp scholar.
“Zeit Zeit Zeit. Wie oft fragen mich die Kinder auf der Straße nach der Zeit.”

Wednesday, March 05, 2008

Time traveler wisdom (VI) — The art historian and the child

What is time? So far, we heard mathematicians, writers, scientists, and a composer with an especially remarkable and elaborate idea on time.

Today I would love to draw your attention to a young man called Daniel Klemm, aged 33, and put his thoughts back to back with an even younger fellow, Nik, 8 years. Let’s listen to Nik first.

Q: “What is time”?
A: “Zeit ist das was gerade war. Zeit ist da und schon wieder weg. Zeit geht ganz schnell, aber Zeit haben ist geht-so, ist langweilig.
(Time is what just passed. Time is here, and gone again. Time moves very quickly, but to have time [on your hands] is so-so; it’s boring.)”

Nik goes to school, of course, loves animals and loves to dance. My heartfelt thanks to Nik for his thoughts, may his English by now be elaborate enough to read this.

Offering the trained art historian’s perspective, Daniel’s take is the following.

Q: “What is time”?
A: “Time is relative, not only referring to different modes of perception, but also to the surrounding space, without which there would be no time and vice versa.
Time can only exist and be recognized as movement in an interplay with space so basically the understanding of change creates the factor time.
‘Time’s what you make it’—action defines a temporary frame that can make it an absolute, quantitative value. That’s why we seem to be able to actually loose time.
But time is a qualitative phenomenon as our sense of it changes due to the circumstances. It is never the same, so we can never bear it as uniform.
Some people say art be timeless. But this is not true as well, since also art exists in relativity to its surrounding environment as well as the artist who creates it.
Time hence is the possibility to get aware about our existence in relation to others and forget about the idea of the absolute. Time gives us the opportunity to achieve a unique quality, our individuality.”

Daniel currently is working as an assistant for renowned artist Carsten Nicolai, and has contributed a worthwhile short essay to the monography “Carsten Nicolai. fades. (2007)”.





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Tuesday, March 04, 2008

The impenetrable beauty of Time (I)

IM•PEN•E•TRA•BLE |imˈpenətrəbəl|
adjective
1 impossible to pass through or enter : a dark, impenetrable forest.
—(of a club or group) secretive and exclusive : an impenetrable clique.
—impervious to new ideas or influences : his career shows just how impenetrable European assumptions were.
—Physics (of matter) incapable of occupying the same space as other matter at the same time.
2 impossible to understand : impenetrable interviews with French intellectuals.



Bild 5. Schema der Kodierung der mit DCF77 übertragenen Zeitinformation; M: Minutenmarke (0,1 s), R: Rufbit, A1: Ankündigungsbit eines bevorstehenden Wechsels von MEZ auf MESZ oder umgekehrt, Z1 (Z2): Zonenzeitbits, A2: Ankündigung einer Schaltsekunde, S: Startbit der kodierten Zeitinformation (0,2 s), P1, P2, P3: Prüfbits. Details sind im Text erklärt.




Bild 4. Abfallende Flanke der von DCF77 abgestrahlten Trägereinhüllenden zu Beginn einer Sekundenmarke; A/A0: relative Amplitude, a’: Steuersignal mit Austastlücke, b’: Steuersignal ohne Austastlücke, a :abgestrahlte Flanke zu a’, b: abgestrahlte Flanke zu b’,tS: Laufzeit durch Sender und Antenne, t0: definierter Sekundenbeginn, tA: Ausschwingzeit.

Heartfelt regards go to the Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig who keep time for us all, and their fancy piece of magic called DCF77.




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Monday, March 03, 2008

Time traveler’s wisdom: David Woodard full-length interview

Please download the full-feature 4-page illustrated interview here or read on below.

There are various reasons why DAVID WOODARD is the perfect interviewee for the wall of time. First, he is a composer, he writes music, which is sound, which consists only of and exists only in: time. His interests are diverse, though, and include the somewhat failed utopias and their ramifications like Nueva Germania in Paraguay or North Korea, as well as the hypnotic lamp­shade-cum-artwork-cum-altar Dreamachine of William S. Burroughs fame, or − most recently − ambitious projects like The Great Pyramid.

This alone would make for a never-ending conversation, but on top of that, his name is tightly linked to a somewhat new genre of musical pieces, the prequiem, commissioned by individuals to be played right before their time to die has come. Woodard became somewhat notorious for composing and performing a prequiem for Timothy McVeigh. Death, of course, is another one of the manifold instantiations of time, that is, the passing of time.

Thirdly, Woodard recently has written a yet-to-be-published piece on one of our notorious bad guys, ERNST JÜNGER − a man who himself was deeply fascinated with time, who collected hourglasses, who saw Halley’s comet twice, and who wrote one of the most ambitious 20th century essays on (planetary) time scales, „An der Zeitmauer [At the wall of time]“, in 1959, which lends its name to the present publication. Jünger himself became a monument of time in that he outlived his century, crossed the magical line of turning 100, and died ten years ago, in 1998.

Our conversation took place in Febuary 2008 during a visit at Dr. Woodard‘s current refuge, Schloß Wiesenburg (Mark).


Dr. Woodard, thanks for your precious time, we feel very honored to have you as the opening interviewee in our new series at the WALL OF TIME. Now, maybe Ernst Jünger is a good topic to start off. I was surprised and pleased to learn that you will contribute to a new anthology on Jünger. Could you give us a brief idea what to expect from your essay? What is your take on him, and what is it that renders Jünger a worthwhile subject for your thoughts and works (e.g., “Ernst Jünger in Leningrad”)?

Thank you, Dr. Obleser, you are very kind. It is a pleasure for me to be the Wall of Time’s first guest.
Well, first of all you have to understand that Ernst Jünger is better known to Americans than Germans like to imagine. In Germany, his seemingly contradictory paths have yielded a charged fog. Neutered German academics look askance at the apparent militaristic sympathies found in Storm of Steel, for instance, whilst unabashedly marveling at Jünger’s later ability to simultaneously be revered by and undermine the Nazis’ international recruitment program in France. Jünger himself possessed a rare and inscrutable quality for a German, and that was his sense of aboveness, or actual aboveness, enabling him to command his person as if it were a radio-controlled airplane, from a distant tower—not like a Predator, rather like a butterfly, whose brain has been neatly carved out and replaced by a UHF-transceiver.

When you examine photographs of Jünger, you see only the machine. They will not help you. He always combed and sprayed his hair nicely and scrubbed his face with more or less natural exfoliants and that sort of thing, had thin reedy lips which contributed favorably to his birdlike profile, sometimes romanticized and indeed eroticized war, sometimes took LSD in a forest near his home under the guidance of his friend Dr. Hofmann. These popular notions are as iridescent ice-dust clouds, twisting and turning, perfunctory and aleatory, and I daresay irrelevant, characterizing the veneer or atmosphere of Jünger’s centenary existence. Beyond the stratosphere, heliotropic Jünger occupied an invisible spinning tower. It is with this in mind that “Ernst Jünger in Leningrad” was written, during a visit last year to the psychoanalyst Dr. Victor Mazin, in the childhood home of Lou Salomé.



Hermes kam mir bekannt vor. Er lächelte, und Viktor wandte sich mir zu: „David, das ist Hermes. Er ist mein bester Freund“ — „Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen, Hermes. Wir trafen uns kurz in Moskau im März letzten Jahres“, wagte ich einzuwerfen.
Hermes bestätigte meine Vermutung. Sein Anblick wurde von seinen neuen Schuhen geprägt—schwarze Leinwand-Slipper mit einem Fach für den großen Zeh und einem anderen für den Rest. Die Schuhe sahen wie Hufe aus, einem Attribut Satans. Im kommenden Monat sollte in Freuds Traummuseum eine Konferenz zum Thema Infernalität im Zeitalter des illuminierten Computermonitors stattfinden.
„Das sind Schuhe von japanischen Bauarbeitern“, sagte Hermes. — „Interessant…Was passiert, wenn ein riesiger Betonblock auf Ihre Füße fällt?“ — „Er würde auf deren Füße fallen, nicht auf meine“. — „Ja, sicher“. Gesegnete Paranoia. „In diesem Fall würde es sich nur um fallenden Bambus handeln“.
Hermes war es, der uns vom Flughafen hätte abholen sollen, sagte man mir. Viktor glaubt wie ich nicht ans Autofahren. Ich fragte mich, mit was für einem Auto Hermes wohl unterwegs gewesen war.

„Ein Paranoider ist
jemand, der Bescheid weiß.“
— W.S. Burroughs, Gespräch

Ein bebrillter Freud, gemalt in Schwarz und Weiß, der über der Tür hängt, dient als ein ahnungsvolles Willkommen für den zweiten Raum, in dem die Dinge plötzlich wieder zeit- und raumlos werden—wie in einem Traum, oder damals, als man tot war. Im Mittelpunkt des Raumes arbeitet, auf einem 1 × 1 × 1.5 Meter hohem Sockel, die Dreamachine. Dazu hört man eine 10minütige Komposition namens „Sssexy“, aufgenommen vom elektronischen Ensemble Plecid; sie besteht aus Sounds, die an sich klangfarblich ständig verändernde Radiostörgeräusche erinnern, und die man hier etwas lauter hört als im ersten Raum. Die Atmosphäre ist nachdenklich und erinnert eher an ein Kuriositätenkabinett als an ein Museum.

(Brief excerpt from David Woodard, „Jünger in Leningrad“, in: Alexander Pschera (Hg.) Bunter Staub. Jünger im Gegenlicht. Matthes & Seitz Berlin, 2008)




I do loathe what-if questions. Anyway, would you have liked to write a prequiem for Jünger? As far as I understand, he wasn’t very drawn toward music. How could it have sounded, and what would have been the instrumentation?

It was his feminine side that resented music. I might have written and conducted a prequiem for Ernst Jünger, had he known more or less precisely when he would make the Eternal Leap and given sufficient notice. I believe I would have scored such a work for bassoons, contrabassoons, bass clarinets, and a swarm of celli and contrabasses that would have entered the equation at the moment of death. I would have kindly advised Dr. Hofmann to be present, and the setting would have been a round wooden raft floating in the lake beside Wilflingen, the castle where Jünger lived during his autumn years, which stretched into autumn decades. Or, the circular raft could more fittingly have been floating in the serene lake here at Schloss Wiesenburg, in former East Germany.
As his death occurred on February 17, 1998, Jünger, Hofmann, the chamber ensemble, Jünger’s physician and I would have been protected from the cold by a glass bubble fabricated specifically for the occasion, hermetically sealed along the raft’s circumference and heated within by a central pyre consisting of Old Growth redwood logs harvested from the Black Forest.
Auxiliary attendees other than Hofmann would have been limited to a series of pleasant animals—cats, squirrels, birds, lemurs, possibly others depending on timing and availability, and finally a smallish group of flying squirrels tethered by an elastic cord affixed to their collar at one end and to a collar worn by Jünger at the other.
At the moment of death, signaled by Jünger’s physician discreetly gazing heavenward, a cloud of butterflies would have burst from portals alongside the stage—the imposing and many-colored Cairns Birdwing of Australia, the iridescent Blue Morpho of South America, the Painted Lady with its empathogenic eyes, the common yet reliable Monarch, every species of butterfly known to man would have been represented, their celebratory flight within the glass hemisphere commencing just as the chamber ensemble segued into the final movement, their gentle fluttering an elegant choreography of otherworldly microtonal celli and contrabasses serenading Jünger’s newly remnant Earthly vehicle in tutti.
After the prequiem, the glass hemisphere would have been carefully detached from the raft, turned upside down like an hourglass, and, tethered to an anchor, permitted to float near the middle of the lake for a period of three weeks. Inside, Jünger’s remains, basted in maple syrup, would have been devoured by many wild southwestbound birds, pious wasps and courageously right-thinking bees.

Fittingly, on Death. Maybe you object to my simplistic equating of sound to time to death. Nevertheless, I think it might function as a bracket around most of what you are interested in (as far as I can tell, from your creative output). Especially the prequiem concept sounds like a very interesting little trick on time, anticipating one’s own death, and having a usually post-death event B (a requiem) performed before event A (the death itself) has actually taken place. Did the idea of the prequiem emerge in order to approach, to scrutinize, and maybe even to “measure” death by getting your art (composing music) as closely as possible to the event of death itself?

It has been pointed out, waggishly, that something fundamental in my work resonates with the philosophical precepts of Dr. Condoleezza Rice. She and I have, over the course of a decade, demonstrated sensitivities toward the Locrian, or anticipatory, gesture. In Dr. Rice’s case, this has assumed the form of the preemptive strike, a military strategy wherein a B action obviates the possibility of an A action, even where there may have been no intention for an A action.
In my case, it has taken the form of a funerary music called a prequiem—a B action occurring before, during, and after an A action: the melodic arch of a prequiem meets its subject along the Nile’s Eastern bank, lifts him up and then safely deposits him along the Western bank, serenading the remains for a short time thereafter. The subject’s life and death are thus A and A, and the river flowing between them is B. The prequiem is intended to ease and comfort its subject’s passage across the Great Divide and assure his transit to Heaven, and is only kindred in spirit to Dr. Rice’s preemptive strike from the perspective of the undertaker or, perhaps, the feebleminded.
B and A are components of Sonata form, the ABA compositional structure defining Classical music, as intuitively defined by Mozart. In light of Dr. Rice’s distinguished avocation as a classically trained pianist, it is more interesting to consider the possible influence that Classical music has had on her work as a philosopher and strategist. B always precedes A.
“A Cornerstone Cringle”, a brass fanfare commissioned by Friends of the Great Pyramid to help celebrate the Great Pyramid project’s symbolic cornerstone laying ceremony last year at its possible Dessau-area site, bears a conceptual kinship to prequiems. Therefore, project ideologues Ingo Niermann and Jens Thiel later asked if I would be willing to render the piece at related prequiem services and/or internment ceremonies once the proposed structure, potentially the world’s largest columbarium, crosses its feasibility hurdles and becomes established. I am taking the idea under advisement. It is a composition that I like very much—and, incidentally, that I shall be conducting at the Great Pyramid Gala on March 10, at Berlin’s small but lovely HAU theatre.

WALL OF TIME will most certainly be there. Now two questions, which we would like to include in all or most interviews to come on time and the phenomena around it. Please feel free to answer quite shortly or to draw, or to remain silent, of course. First, the big issue: What is time?

Time is heavier than a heartbeat. It may have been invented as a scare tactic by a shaman in a tiny prehistoric Paraguayan village many thousands of years ago, and the price he had to pay for his fleeting glory was the nerves of all future humankind. It makes one wonder what price all future humankind will pay for the present shamanic benefits offered by David Bowie, David Sylvian or Momus, for example.

What role does time play for your primary work (i.e., composing, in your composed pieces, and writing, in your written pieces)?

Composing and writing are equally time-based. Time is the element of language that another person will always relate to best. Events occur in our life over time, in sequence. They occur in books and movies over time, in sequence.
Sometimes things happen all at once, in parallel, though in such cases the parallel aspect is nonetheless experienced in time, as in the congress of a fugue: consolidated time, with increased tension. In this way the internet is quite fugal, perhaps dangerously so, threatening the preconditions for a hero‘s narrative to unfold, conditions that have prompted our understanding of what is good in the world. Time is at least as important in writing as it is in music. Students writing a dissertation with the object of obtaining a degree often neglect this obvious fact, a dreadful source of annoyance to most professors.
When you write something for another reader (i.e., other than notes to self), you are counting on the reader to follow your words and thoughts and hopefully understand what it is that you see so clearly in your mind that you must author a text. The reader will not understand unless you have taken into account what will be the likely trajectory of his thought and emotion whilst passing time reading the text. Therefore, aside from being able to see clearly what is to be written, the writer must also be a composer, a conductor, a musician, a hypothetical listenership, a musicologist.

Words are a form of music: their effect has absolutely nothing to do with their apparent meaning. Hölderlin recognized this, to a certain extent. I sometimes wonder if it isn’t reasonable to assume that words were invented by the praeter-human feminine spirit, which felt otherwise defeated by the male Apollonian spirit of music. They are a deceitful version of music, though equally dependent on melody and rhythm, hence time, to be effective. Ultimately any piece of writing expresses human conditions that exist beyond the circles of time: yearning, protection, alienation, love. It is best to avoid language and default instead to the realm of facial expressions, subtle gestures, gentle emotive sounds, music. The more you use language, the more you are obliged to continue to use language, just like telling a lie, and this steals precious time.

A last, important question. Dr. Woodard, you went to Paraguay many times and support the people in Nueva Germania. In a way, the sheer existence of this village gives us an impression of having fallen out of time and history: A project that had begun more than hundred years ago, an incredible amount of time must have passed since Bernhard Förster and his wife boarded a ship 120 years ago. Nueva Germania seemed forgotten and off the record for a long time, yet it has been there all the time, and it all feels oddly out of sync with our own notion of a modern society. However, it exists, the people are living there, and you occasionally take a plane and go there, almost like traveling between time zones. Are they living in the same century as we do (and, please, do not take this as a disregardful or Eurocentric comment)? Do you yourself feel as if living in 2008 Berlin?

This is an interesting observation for you to make, Jonas, and a harrowing question to follow. In a way, Nueva Germania has become a metaphor representing the possibility of different forms of time passage on Earth. It is a family-planning sodality founded in the mid-1880s by Elisabeth Nietzsche and her anti-Semitic agitator husband Dr. Bernhard Förster, in the middle of the Paraguayan jungle, inspired by Wagner’s 1880 essay “Religion and Art,” which appeared in the Bayreuther Blätter. Wagner whimsically pleads for the exodus of a group of brave Germans to found a New Germany in South America, where German culture could flourish unhampered by what he perceived to be antagonistic mercantile influences in the Motherland. There are lovely sub-themes in the essay that one might not associate with Wagner, such as the karmic wisdom of vegetarianism, and the spiritual stability that Lutheranism might offer in the New World.
It is a miracle that Elisabeth and Bernhard managed to establish any kind of colony in the very dangerous interior of South America, given their lack of experience in subtropics—with potentially deadly sand flies, very deadly jarara (5-minute) snakes, virtually non-irrig-able soil, and other serious hardships in store. It is my view that the reason Nueva Germania still resonates with us today, if faintly, is that it was a project Elisabeth and Bernhard poured their souls into. They pursued the Utopian family-planning dream with sincerity and focus— the more deeply they penetrated the dream, the more solemnly their honor was at stake. It broke Bernhard Förster. When Christian Kracht and I visited the room at Hotel del Lago where Dr. Förster committed suicide, it was heartening to find that a kind of inadvertent reverence still hung in the air. It is a top floor room, the veranda of which is larger than any of the others, and the windows of which gaze upon a most fantastic view overlooking a seemingly endless expanse of trees to the West. Despite these advantages, the room has for many decades remained unoccupied, serving as a janitorial supply room. The combination clerk/cook on duty explained that the 19th Century suicide is well-known, at least in Asunción and evirons. The room is viewed with trepidation.
The process of developing a eugenics colony to please the Master was the blossoming of Elizabeth’s and Bernhard’s united souls. The people who live there now—i.e., those who genetically descend from the colony’s first wave of pilgrims—understand more clearly why they are there than any of the scholars or journalists whose research I’ve examined.

Wagner does not resonate or seem relevant or make sense in Paraguay. What the colonists understand is that someone in their ancestry had strong feelings about the goodness of being who they were, to the point of shirking conven-tion and forcing the hand of Fate, and that this is why their family lines teleported to Paraguay. They do not recognize that they speak in a 19th Century Saxon dialect.
Nueva Germania almost ceased to exist in the early 1950s, and two years ago I visited and partook of imported sardines and beer with the aged man whose vote kept it alive. Klaus Neumann held a chair on the Municipal Council back then and had the deciding vote on whether or not the community’s name should be changed to Sanchez. Recognizing Nueva Germania’s historical significance, without tears, and also his own father’s renown as Elisabeth Nietzsche’s pilgrim who invented what would become the standard growing and curing procedures for Yerba Mate, Mr. Neumann effectively saved Nueva Germania. Had the name been changed to Sanchez, I believe the teetering enclave would have suffered unmanageable cognitive dissonance. Inside their misplaced brains, they would have short-circuited and faded to black. Passing the century point in 1987 has been psychologically beneficial to Nueva Germania, restoring a sense of identity and security to its bluebloods.

Thank you, Dr. Woodard. It was an insightful and inspiring Journey.





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Sunday, March 02, 2008

Auf Reisen — Are you with me Dr. Woo?

I went searching for the song / You used to sing to me /
Katy lies / You could see it in her eyes /
But imagine my surprise / When I saw you /
Are you with me Doctor Wu?
(Steely Dan, 1975)

Vergangenen Samstag verließ ein Regionalzug Leipzig, mit einem übernächtigten, unpassend touristisch gekleideten Mann an Bord.

Die Fahrt führte zügig ins Herz der ostdeutschen Finsternis hinein. Klingende Namen eines vergangenen Schreckens, die kraft ebenjenes Klangs die Imagination befeuerten: Bitterfeld, Wolfen, Dessau. Wer Dessau nur aus sterilen, sonnendurchfluteten Galerieräumlichkeiten in London oder Berlin kennt, von den in Helvetica gedruckten Legendentexten zu Austellungsstücken von Josef Albers oder Laszlo Moholy-Nagy, hat etwas Fundamentales über Dessau falsch verstanden: Keiner baut ein Haus in Dessau, kein Mensch. Auch in den 1920er Jahren muss es ein kühner Akt gewesen sein, die Avantgarde ausgerechnet unter dem dräuenden Himmel im Nichts zwischen Berlin und Leipzig hochziehen zu wollen.

Die Fahrt durch diese Siedlungen tut dem Geiste durchaus etwas an, und nur zu gerne hätte man jetzt den nie geschriebenen Reisebericht der wandernden Erinnerungs– und Vernetzungsmaschine W.G. Sebald und seine—am besten in diesem ruhigen, etwas Versicherndes ausstrahlenden, 27 Zeilen pro Seite nie überschreitenden Satzspiegel gedruckten—Quisquilien über Rosslau / Elbe studiert.

Irgend ein derartiges Schutzschild aber sollte man besser zur Hand haben, wenn man hindurch will und hinein, tiefer hinein, ins Mark. Wiesenburg (Mark), Bahnhof. Doktor Woodard hatte versichert da zu sein, 11 Uhr 49.

Es ist wieder einer dieser geschrieben immer zu gewollt klingenden Zufälle, dass, als ich obigen Satz mit “11 Uhr 49” geformt und zuende getippt hatte, es bereits 11 Uhr 55 war und mein Telefon mich aus den Gedanken riss.

“Hi, it’s David”—"Oh David, hi, I think we’re running late"—"Er, Jonas, I think your train passed. You did not leave the train, this is an easy thing to happen here."

Doktor Woodard sollte recht behalten mit seiner Einschätzung, und so war es also erst einige Biegungen des Raum-Zeit-Kontinuums später, dass ich ihm die Hand schütteln konnte. Es gab ihn wirklich.

Wir spazierten drauflos, zaghaft Ansichten und Vorstellungen zu Zeitreisen, J.S. Bach, Haight Ashbury, The Magnificent Brotherhood sowie das gravitätische Kreisen der US-Amerikaner um den uralten Turm Zentraleuropa austauschend.

Auch wenn nicht genau klar war nach 20 Minuten solchen Spazierens, ob man das Jahr 1896, 1689 oder 1968 schrieb, kam schließlich das Schloss des Doktor Woodard in unseren Blick. Ein sanft der Parklandschaft einbeschriebener Teich bot sich uns dar und lud zu Spekulationen über so nie stattgefundene Aussprachen zwischen dem somnabulen Gottfried Benn und dem vogelgesichtigen Ernst Jünger ein. Ein freundliches Gespräch entspann sich also, und ein eindrucksreicher Tag vollzog seinen Lauf, und das Ergebnis lesen geneigte, dem Englischen mächtige oder ihm zumindest zugewandte Besucher morgen hier.



Apologies to our readers who prefer our English posts.