Sunday, March 29, 2009

Der Blick ist kein Blick mehr

«Wir sind damals öfters mit meinem ersten Auto hinter Riedlingen die Wälder hoch gefahren. Einmal, das weiss ich noch, hatte einer eine CD mit der Johannes­passion dabei. Dieses “Herr! Herr! Herr!” in einer das Maß des Vernünftigen übersteigenden Lautstärke in der ober­schwäb­ischen Morgen­däm­mer­ung, das war zuviel. Ich glaube nicht, dass die anderen die Tränen bemerkt haben damals.

Zweck dieses Endes der Nacht war es jedenfalls, uns auf die Lauer zu legen mit dem Fernglas. Ein altes Fernglas, in muffigem Futteral, vielleicht aus jener Zeit, als das Objekt unseres Lauerns mit den anderen angry old men schriftlich quer durch die Republik, von Todtmoos nach Plettenberg nach Wilflingen und zurück, konversierte und man sich gegenseitig über die Linie hinweg oder wahlweise auch “über ‘die Linie’” die Bälle zuspielte und noch den langen Atem für den gepflegten Dissenz hatte.

“Der Blick ist kein Blick mehr, seit es Projektile gibt”, hörte ich vor kurzem erst so einen Berufs­jung­dichter lesen, und da waren diese Bilder der noch sehr kalten Frühlings­morgende am Riedlinger Waldrand damals wieder sehr präsent: Wie wir da lagen, irgendjemand nuckelte an einem letzten Bier aus einer 0.3 l Dose; wie wir warteten, dass der weiße Schopf des mittlerweile doch sehr kleinen Mannes unten am Rand der Siedlung auf seinem frühen Spaziergange auftauche; und wie ich dann immer dachte: Der hat ja einen Helm aus Haar auf, und Das ist ja gar kein Nazi, obwohl das meine Verwandten fanden. Auch, dass da ein so unwirklich alter Mann durch unser Visier wandelte, und dass wir so alt waren, wie er selbst, als er auf den Anhöhen gelegen und er andere in seinem Visier zwangsläufig weniger unbehelligt gelassen hatte, im großen Krieg.

Aber was uns wirklich bewegte, in den Frühlingstagen des Jahres 1993 mindestens drei–, vielleicht viermal uns an das Gesamtkunstwerk Ernst Jünger heranzupirschen, mit seinem Haarschopf, und seiner Zigarette, und seinem Renterblouson, und seinem erstaunlich festen Schritt für so ein altes Männchen, das frage ich mich heute auch.

Später, als er tot war, längst, habe ich begonnen, mich seinen Worten anzupirschen; habe ihn gejagt in den dicken Büchern, und habe mit ihm die farbigen Monokel in Ypern und an der Somme getragen, habe meinen Schmerz in seinem gesucht, wollte ein Torpedo unter seinem spirituellen Lenken werden kurzzeitig; auch habe ich bemerkt, wie er immer so ein kleines bisschen zu spät kam mit vielem, ein Schreib­tisch-Futur­ist war er geblieben. In Paris dann, wie wir zusammen an kleinen sonnigen Plätzen sassen und den Mädchen nachschauten und ich in seinen Worten einen Stich, einen Schmerz spürte, da war ich ihm nah. Später ist er zu den Planeten aufgebrochen und in den Wald gegangen, und da verlor ich etwas lustlos seine Spur. Beredt also, dass ich viele Jahre zuvor genau dort zuerst auf ihn gelauert hatte; ihn, das weltberühmte Einsiedler-Unikum, das uns—neben dem einen Mal, als mein Schulfreund mit dem geklauten 80er an der Todeskreuzung sich das Hirn aufwetzte—einige Male einen Hubschrauber im Dorf bescherte.

Wir sind dann nicht mehr in den Riedlinger Wald gefahren früh morgens, vermutlich weil der Zivildienst kam, und anderes zurecht wichtiger wurde als den fast schon versteinerten bad guy seine Schritte bemessen zu sehen.»

Apologies to our readers who prefer our English posts.

Friday, March 27, 2009

Offering in the name of the dead (mataka-dana)

«Now the dreams start coming. The dreams of Miles Davis’ impressive outfit collection in a little bootsale-like museum in a street-level appartment somewhere in the UK. The same dream, still, with Carl Craig entering the scene, and all of a sudden everybody has weapons, massive weapons, and literally everybody is shooting at each other. Musicians, DJs, hipsters and stylers all shooting at each other. In dreams, it hurts just a little when a bullet penetrates your body, but it hurts more than you would expect it to hurt from a dream.

The dreams start coming. The dreams of four people laying comfortably in the grass and firing senselessly at each other with automatic weaponry. When you think it is all over, you see a gleaming light source that looks more like what Vietnam movies have taught you to take for phosphor explosions, and the earth begins to shake, and you run, you run, you simply run. Just before you reach the deceitful safety of a concrete hut you are hit by a falling tree and you see yourself dead. The dreams start coming.»


Dieser Beitrag ist auf Englisch, doch einiges an der Zeitmauer gibt es auch in der hervorragenden Kultur- und Verwaltungssprache Deutsch zu lesen.

Wednesday, March 25, 2009

Dhanyabaad, masanga aaphnai sooee chha.

“Single words or short phrases in foreign languages not used as direct quotations should be in italics. Direct, acknowledged, or more substantial quotations should be in roman type (in small print or within single quotation marks). For the setting of quotations, see Chapter 9”
MHRA style guide, 2008

Als ich kürzlich eine wacklige und verwohnte Embraer-Maschine für einen langweiligen Regionalflug besteigen musste und mich hastig mit den Notausgängen vertraut machen wollte, fand ich statt einer Notfallkarte verwundert ein bereits im Verfall begriffenes Exemplar des Buches “Gebrauchanweisung für Nepal” von Christian Kracht & Eckhart Nickel vor und begann sofort zu lesen. Eine Fügung musste es dort für mich hinterlegt haben, denn noch ehe wir unser Ziel erreicht hatten, wusste ich alles über das zaubergleiche Land Nepal, dort hinter Indien und vor China gelegen.

Wie Sie ahnen, reise ich an sich nicht gern; um so dankbarer bin ich, wenn die Glimmer Twins des Reise­abenteu­ers, Christ­ian Kracht und Eck­hart Nickel, wieder irgendwo hin­fahren, dort­bleib­en und per Sing­draht und Telex ihre Er­kund­ungen an hiesige Verlage übermitteln. Erwarten Sie von dem Buch aber keine dieser philo­so­phie­ge­schicht­lichen Ein­ord­nung­en und Aperçus für die selbst­denkende Travel­lerin, die sich nicht mehr vom Lonely Planet gängeln lassen möchte, wie die Titelreihe “Gebrauchs­anweisung für…” wohl ironisch in­sinuieren will.

Nein, nein; hier wurde diese Betitelung endlich einmal ernst genommen. Kracht & Nickel (2009; Rätsel am Rande: Beklagt sich Dr. Nickel eigentlich nie, immer als senior author zu fungieren? Wären für seine geisteswissenschaftliche Karriere nicht mehr Erstautorschaften angeraten?) unterrichten uns in der Kunst, in Kath­man­du stand­es­gemäße Re­dakt­ionsfeiern auszurichten, und sie lehren uns das behände Sich-Einfügen in die lokalen Dienstleistungsstrukturen anhand der “Band Box” Wäscherei; sie sprechen in einem no-nonsense Kreuzverhör mit dem nepalesischen Prime Minister Elect und richten so en passant das Despoteninterview neu ein; und schließlich dechiffrieren sie—von Nepal aus! Dies nur ein rhetorischer Trick, um uns das sonst gern Übersehene klarer vors innere Auge treten zu lassen—für uns die Welt der Marken und Werber und pitchen für die Neugestaltung der nepalesischen Fluglinie Agni Air.

In der sicheren Entschlossenheit, nach Ankunft sofort am Transfer desk einen Flug nach Kathmandu zu buchen, schlage ich noch vor der Landung höchst zufrieden diese kleine, längst herbeigesehnte Ferien für Immer-Apokryphe zu, die in jede noch so verunreinigte Hosentasche passt, und denke mir selig ein neues Design für diese üble Embraer-Maschine aus. Bitte kaufen Sie dieses Buch und geben Sie es nicht mehr her.


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Monday, March 23, 2009

Gespenster

”None of the things you make up will be as hair-raising as the things people tell you”
—W.G. Sebald, to his students

Vor langer, langer Zeit wandelte ich mit Bruder und Freundin über einen kleinen Krämermarkt inmitten Berlins, und folgender dreisätziger Dialog trug sich zu.

(Freundin) “Schau mal, eine Barbie.” — (Ich) “Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon.” — (Bruder) “Ein schlechter Scherz.”

Damals war Klaus Barbie wegen seiner späten Verurteilung ein Name und ein Gesicht des täglichen Lebens gewesen, und ausser darüber, wer in unserer Familie die wirklich guten Sprachscherze macht, sagt diese Geschichte wenig aus, und sie wäre nicht wert berichtet zu werden. Wäre mir da nicht, so unvermittelt, inmitten einer sehr prosaischen Dienstreise, dieser Tage das Gespenst Klaus Barbie begegnet; und das kam so.

Die gastgebende französische Kollegin führt mich auf einen großen Exerzierhof, mit Trikolore, in saftigen Sonnenschein getaucht, wie ich sie nur aus Inspektor Clouseau-Filmen kenne, und von denen ich dachte, Blake Edwards hätte sie erfunden. Wir sind unterwegs in ihr Büro, in dem den Hof umgebenden Gebäude. Wir halten aber inne, und sie erklärt mir, eher eine Fremden­führerin imitierend als eine sein wollend, dass sich hier im Hause auch das Museum der Résistance befinde, und die Institute für Human– und Sozial­wissen­schaft­en. Hellhörig werdend folge ich ihr ins Haus und in den Aufzug.

Dort lese ich, dass alle Seminarräume im Haus un­gewöhn­lich­er­wei­se nach Personen benannt sind. Auf mein Nachfragen hin bestätigt sich, das alle diese Namen Personen gehörten, die sich den deutschen Besatzer auf die eine oder andere Art widersetzten und dafür in eben diesem Gebäude, in den Kellerräumen, ihr Leben ließen oder eine Fahrkarte nach Ravensbrück oder Sobibor oder zu ähnlich unheils­schwang­eren Orten zugewiesen bekamen.

Ich verstehe, plötzlich: Ich bin in Lyon. Dies war der Bauch des Leviathan, dies ist das Haus Klaus Barbies. Hier hatte er munter versucht, den französischen Widerstand auszurotten, um in der damals beliebten Diktion zu bleiben. Wir gehen in den Gewölbekeller hinab, später; ich lese neben jeder der sehr frisch gestrichenen grossen Türen die fremden französischen Namen und verstehe sonst nur noch die vertrauten deutschen und polnischen Dörfer, die zu so unheilvollem Ruhm gelangten. Dissoziativ und filmartig wird alles; wie in einem Photoshop-Effekt zieht mein Hirn die Farbe, den Teppich und die Hinweisschilder ab; was bleibt ist ein Kellergang mit vielen verließartigen Türen und—als Metonymie gleichsam—mit allem, worauf man als Enkel des Westfeldzugs eben so stolz sein kann.

Die Kollegin zeigt mir dann endlich ihre schöne neue Versuchskammer hier unten, mit riesigem Bluescreen für Video-Aufzeichnungen, mit einem noch ganz nach Verpackung duftenden Mikrophon und teurer Schalldämpfung. Alles ist bereitet, damit in diesem Keller mit harmlosen EEG-Experimenten an gesunden Studenten etwas Sinnvolles herausgefunden werden kann.

Als wir später auf der Autobahn von fast allen ent­gegen­kom­men­den Autos vor den Polizeikontrollen gewarnt werden mit Lichthupen, und als dann noch später am Bahnsteig alle gemeinsam—mit satten 68 Euro strafbewehrt und guter Dinge—gegen das Rauchverbot anrauchen, dünkt mir, wieso Lyon ein Museum für die Résistance hat und zuhause man sich kaum an Georg Elser erinnern kann.

Wednesday, March 18, 2009

Wo die Kamerafahrten ein Ende gefunden haben

Ich wohne ja weit weg. Ich weiss nicht, ob das kleine Schicksal nun mich gezwungen oder die Zwänge mein Schicksal gebogen haben, aber ich sitze auf dem Bahnhof des mit den anmutigen und frohen Lettern Adrian Frutigers verzierten Pariser Flughafens. Wieso hier, fragen Sie. Wieso hier, frage ich mich selbst.

Das kam so: Ich beschreibe eine elliptische Fahrt, wie die Kamera des Michael Ballhaus, die um die Mutter Küster auf ihrer Fahrt zum Himmel kreiste. Meine Kreise werden sich konzentrisch verengen in den nächsten Tagen. In der Asepsis, die der deutsche Osten darstellt, war ich heute Morgen zunächst in eine etwas verwohnte Embraer-Maschine der Air France gestiegen. Zwei der jungen Männer meiner Reisegemeinschaft verdächtigte ich—wofür ich mich zwar entschuldigen, aber es nicht ungeschehen machen kann—umgehend des Bösen in ihrem Schilde; dies wohl eine unheilige Kondensation aus ganz normalem Post-9/11-Wahnsinn und dem völlig arglosen Blick des so unheilvollen Tim, leicht aufwärts zu mir blickend, abwartend, auf dem aktuellen Wochenmagazin SPIEGEL, das ich entgegen meines Wollens hatte kaufen müssen.

Wieso eigentlich elliptisch, wieso Kamera, wieso Fahrt? Nach dem gewissermaßen zunächst auswärts, scheinbar fort vom Ziel strebenden Reisen und Arbeiten über Paris, Lyon und Grenoble der Linksschwenk hinein; eindrehend, um durch die Mutter der Beschaulichkeit, der Schweiz, hindurch, auf Wegen aus Eisen, nach Deutschland, durch die Hintertür, und vollends hinauf nach Stuttgart zu gelangen und das eigentliche Ziel in den Blick zu nehmen: jene schwäbische Heimat, deren unaussprechlichen Namen bisher doch nur so wenige zu buchstabieren wussten, und dessen Zweckarchitektur sowie seine bleichen, verzerrten Gesichter in den letzten sieben Tagen so rat– und rastlos zerfragt und zerfilmt worden waren.

Vielleicht werde ich zunächst in der größeren, weniger leicht zu erschütternden Metropole verharren, bevor am nächsten Tag die Fahrt hinein in die kleine Stadt mit der großen Trauer möglich sein wird. Dann wieder die Heimat mit den eigenen Augen schauen, und von mir aus auch mit dem von (Frankreich!) Saint-Exupéry besungenen Organ. Aber auf alle Fälle nicht mehr durch die Bildwurst– und Fleischmaschine der Übertragungswagen, an deren Auswurf wir wider besseres Wissen und Gewissen gehangen waren in den ersten Stunden und Tagen. Es war nicht weit gewesen zu Baudrillard und einem in sich richtigen, emotional aber unerträglichen Baudrillardschen Schluss, Winnenden did not take place.

Ich verbot mir, solch Französisch-Postmodernes, einst Schickes zu Ende zu denken im Angesicht des Unsprechlichen. Um aber über diese medialen Rückkopplungen, die unbestreitbar die feinen Sinneszellen in allen Organen zerstören können, hinwegzugelangen, muss selbst hinfahren, wer verstehen will. Verstehen heisst in diesem Falle nicht, aus dem “Warum?” ein rohes “Deshalb” zu meisseln. Verstehen erfordert zuerst, die Ohnmacht anzuerkennen. Er sei der Gott der Traurigkeit, hat der nicht minder unheilvolle Dylan Klebold nämlich geschrieben, in einer Sprache die ebenso krank wie schön war.

Hinein also, dorthin, wo mittlerweile die Kamerafahrten ein Ende gefunden haben und wo die Bushaltestelle wieder den Schulbussen und Schulkindern gehört. Die Traurigkeit werden die Korrespondenten und auch wir Zuschauer wohl dort gelassen haben, denn ihr Widerhall will nicht verstummen in mir. Aufschub, also nur, im satten Violett des TGV. Auf ins Reich der Traurigkeit.


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Thursday, March 12, 2009

Winnenden

for English version please see below

“The human shape is a ghost made of distraction and pain,
Sometimes pure light, sometimes cruel,
Trying wildly to open,
This image held tightly within itself.”

—Rumi, 13th century Persian Sunni mystic

Ein großes Unglück ist geschehen.

Ein großes Unglück ist geschehen in einem Ort, mit dem ich untrennbar verbunden bin. Ein Ort, den ich, auf Krawall gebürstet, als “Schwäbisch-Sibirien” charakterisiert habe zuvor, und anhand dessen ich von der “Flüchtigkeit des Konstrukts Heimat” schrieb.

Ein Ort, von dem ich im weiten Internet vor wenigen Wochen nur ein einziges Bild fand, das ich als lustig und verquer genug, weil so dermaßen un-Winnenden, empfand um meine Suada zu illustrieren; es zeigt einige Rettungskräfte der lokalen freiwilligen Feuerwehr, wie sie bei einer großen Übung in bedrohlich aussehenden Masken und Helmen einen Statisten wegtragen. Ein Ort auch, an dem ich als Kind, genau inmitten der nun Tat-Ort gewordenen Schule und Park, erst mit Staunen einer großen kleinen Übung der lokalen Sicherheitskräfte beiwohnte und alsbald den Schauspielcharakter des Gezeigten langweilig fand.

Ein Ort, den wir in lustvollen und komplexen Verschwörungstheorien stattdessen gerne zum Nabel der Welt hinaufbeschworen, mit Miles Davis’ Schirmherrschaft über den lokalen City-Treff und Usama bin Ladens mittlerweile legendärem Benzindiebstahl im Teilort Schelmenholz, mit Normahls “Winnenden Geisterstadt / abgefuckte Hippiestadt” aus dem Jahre 1979 im Ohr. Ein Ort auch, den der Journalist Lorenz Schröter besuchte, als er über die spielerischste aller Weltenerklärungen, die Hohlwelttheorie, alles erfahren wollte und Winnenden verließ mit der Antwort: “In der Mitte, da ist nichts”.

Es ist alles nur ein Spiel gewesen; alles in Winnenden war immer Spiel, immer Spielplatz, mein Spielplatz, mit allen friedlichen Konnotationen, die das Wort weckt. Heute weiss ich nichts, und die sprudelnden Worte sind nur Worte über den vergangenen Spielplatz Winnenden. Mein echtes Winnenden am Morgen des 12. März 2009 entzieht sich den Worten.

Ein großes Unglück ist geschehen.



English version:

A catastrophe has happened.

A catastrophe has happened at the place from which I cannot separate myself. A place to which I referred in anger once as “Southern German Siberia” and which made me talk about the “fleeting construct of home”.

A place of which, a few weeks ago, I could only find a single image in the wide internet that seemed odd and non-Winnenden enough to illustrate the suada I was about to write; it depicts the local firefighter forces, in harrowing masks and helmets, as they carry a mock injured during a maneuver. It is also the same scenery where I witnessed as a child, quite exactly inbetween the school and park that now have become crime scences, another grande yet small maneuver of the local forces. First I stood in awe, only to become bored all too quickly by the obviously staged character of it all.

It was a place that we enjoyed to turn into the centre of complex conspiracy plots instead, with Miles Davis heading the local summer street festivities, and Usama Bin Laden famously stealing gasoline from a parked car in the Winnenden suburb Schelmenholz, with local punk heroes’ “Winnenden Ghost town / run-down hippie home” ringing in our ears. Journalist Lorenz Schröter even visited this place once to find answers to the most playful of all theories on our planet, the hollow earth theory, and he returned from Winnenden with the answer: “In the middle, there is nothing.”

It all had been simply a game. In Winnenden, everything was playful, it had always been a playground, my playground, including all peaceful connotations such words elicit. Today I know nothing to say, and all the wordy paragraphs here are words on the perished playground of Winnenden. My actual Winnenden on the morning of March 12, 2009, defies any words.

A catastrophe has happened.

Wednesday, March 11, 2009

Poetik der Oberfläche

Pop. Wissen Sie noch? We don‘t need that fascist groove thing, give me—pronto—Amaretto, und all das. Junge (sehr beliebt:) Schnösel sitzen in Hotels herum und so. Ach nein, das war ja viel später. Es ist alles sehr verwirrend, aber das scheint alles Pop zu sein. Und falls Sie nun genauso verwirrt sind wie ich, fahren Sie doch bitte das gesamte Sommersemester hindurch nach Hamburg hinauf und lauschen Sie, was einige unserer führenden Experten auf diesem Gebiet zu sagen haben. Der Wall of Time nicht fremde Topoi der kontemporären Literatur, des Camp und des Gesellschaftsdesigns scheinen dort auf dem sehr schön gestalteten Lehrplan zu stehen. Be there, or be square, wie die Nachbarjungs immer riefen.

POETIK DER OBERFLÄCHEDie deutschsprachige Popliteratur der 1990er Jahre
Chaired by Olaf Grabienski, Till Huber, Jan-Noël Thon
Universität Hamburg, Ringvorlesung am Institut für Germanistik II und im Allgemeinen Vorlesungswesen
Montags 18-20 Uhr, Phil-Turm, Hörsaal D, Kick off 06.04.2009



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Thursday, March 05, 2009

Eternal sunlight of the spotless mind

Gestern Abend beschloss ich, als das Fernsehbild erloschen war und in fernen Städten weiter die Trümmer fortgeräumt wurden, dass ich die große, wunderschöne stylegames.net-Schachtel mit all den Pho­to­graphi­en darin heute nicht verstauen würde. Ich befand, dass der offen daliegende Karton, einem während der Operation kurzzeitig beatmetet und präpariert hinterlassenen Patienten nicht unähnlich, so bleiben sollte. Sein orangenes Innenleben gibt nun wie ein eröffneter Leib die Gerüche frei.

Ungeordnet, das heisst: Nur ihrer eigenen Ordnung—den Gesetzen der Zeit, der Gefühle, und nicht zuletzt der phototechnischen Chemikalien—gehorchend, liegen vor mir: James Last und Band in Anzügen von Peek & Cloppenburg mit langsam zerfallendem Klebestreifen hintan; das blonde Wundermädchen, vor Lichtjahren, als Kind noch, angeschmiegt an die behütenden Arme ihres großherzigen Vaters; die alte Frau mit dem Gendefekt und dem Rätsel in den Augen; und, immer wieder, dazwischen ein verblichenes, verbleichendes Ich mit Brillen und Haarschnitten und albernen Turnschuhen.

Operationen am offenen Gedächtnis, nicht länger gehegt und verwahrt, sondern inmitten meines Lebensraums. Erinnerungen sind die Tochtergeschwulste jedes Daseins; an Ihnen und mit ihnen werde ich auf die große Sprengfahrt gehen.


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Tuesday, March 03, 2009

The future didn’t exist anymore: 20 lines of why I love Bret Easton Ellis

I stand in awe of great writers. You know a great writer when you read him or her. This is most definitely a great one. Chilling.

“When we sat down to eat I took inventory of the people in the room, and the remnants of my good mood evaporated when I realized how very little I had in common with them—the career dads, the responsible and diligent moms—and I was soon filled with dread and loneliness. I locked in on the smug feeling of superiority that married couples gave off and that permeated the air—the shared assumptions, the sweet and contented apathy, it all lingered everywhere—despite the absence in the room of anyone single at which to aim this. I concluded with an aching finality that the could-happen possibilities were gone, and that doing whatever you wanted was over. The future didn’t exist anymore. Everything was in the past and would stay there. And I assumed—since I was the most recent addition to this group and had not yet let myself be fully initiated into this rituals and habits—that I was the loner, the outsider, the one whose solitude seemed endless. My wonderment at how I had arrived in this world still hadn’t deserted me. Everything was formal and constricted.”

Bret Easton Ellis, Lunar Park (2005, p. 132, UK hardcover, 1st edition)


Dieser Beitrag ist auf Englisch, doch einiges an der Zeitmauer gibt es auch in der hervorragenden Kultur- und Verwaltungssprache Deutsch zu lesen.