—von Jonas Obleser für walloftime.net
Eine durchgehend vertretene Grundannahme hier an unserer WALL OF TIME besagt, Klang existiere nur in der Zeit, die Zeit ermögliche den Klang überhaupt erst. Das macht Klang und Zeit, zumindest im Kopf des Hörers, zu eineiigen Zwillingen. Der Raum hingegen, und dessen Kultivierung – nämlich die Architektur – wird meist als zeitunabhängig, als rechtwinklig zur Zeitachse verstanden. Was aber geschieht, wenn uns klar wird, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist und wir allmählich verstehen, wie Raum und Architektur unser Empfinden der am stärksten zeitabhängigen Sinneswahrnehmung formen: der Wahrnehmung von Klang? WALL OF TIME ist überaus stolz, als zweiten Interviewpartner einen der wenigen bedeutenden Experten auf diesem Feld gewinnen zu können, den gelernten Architekten, Zimmermann, Musiker und Autor OLAF SCHÄFER.
Schäfer, Jahrgang 1974, lebt heute in Berlin und hat gerade den ersten Sound Studies-Studiengang 2006–2008 an der Universität der Künste mit dem Mastergrad abgeschlossen. In seiner Architektur-Diplomarbeit wie auch in weiteren Projekten verfolgt er einen Weg (vielmehr eine Schnellstraße), den Marinetti, Russolo und andere Futuristen im frühen 20. Jahrhundert erstmals beschritten: Welche Folgen hat das neue, tönende Waffenarsenal unserer Maschinen, unserer Motoren, unserer Städte? Wie wirkt es sich auf unsere Städte aus, dass all die entstehenden Klänge keine Beachtung finden, dass sie ignoriert werden, vernachlässigt und kaum nutzbar gemacht?
Letztlich lautet die Frage – und das bringt uns zu Schäfers eigenwilligstem, radikalstem und zugleich einflussreichsten Anliegen: Wie können wir Klänge auf logischere, natürlichere Weise, zu unserem sensorischen und psychologischen Vorteil in die Gestaltung unserer Einrichtungsgegenstände, die Bauweise unserer Häuser und Städte einfließen lassen? Nur halb im Scherz schloss Schäfer 2004 sein erstes Manifest mit dem germano-englischen Kampfschrei: „Ringt mit den Straßenbahnen, kämpft um jeden Groove. Remix Berlin! Dub Stuttgart!“
Olaf, danke für deine wertvolle Zeit. Wie du weißt, ist eine Konstante unserer Publikation, gewissermaßen ein Axiom, dass Zeit Voraussetzung für Klang ist. Nun kommst du ja aus einem denkbar statischen Feld, der Architektur. Sicher fühlst du dich manchmal uneins mit deinen Kollegen, wenn du dich darauf konzentrierst, ein völlig gegensätzliches Feld – sich ausbreitende Schallwellen – unter Kontrolle zu bringen. Allgemein scheint es, als wolltest du mehr Aufmerksamkeit auf Klang als ästhetische und leiblich erfahrbare Größe lenken, wenn es um die Gestaltung von Gebäuden, Straßen und öffentlichem Raum geht. Betrachtest du dich selbst noch als Architekt im ursprünglichen Wortsinne, und wenn ja: Glaubst du, dass hierzu die Tätigkeit eines Architekten neu definiert werden muss?
Zunächst einmal vielen Dank für dein Interesse an meiner Arbeit, Jonas. Ich bin sehr erfreut, wenngleich auch unsicher, ob meine Gedanken etwas zu deinen Konzepten an der Zeitmauer beitragen können. Wie du bereits sagtest, befasse ich mich als Architekt mit Raum, was man als Gegensatz zur Arbeit mit der Zeit ansehen kann.
Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht wirklich, was die Arbeit eines Architekten in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes war. Es kommt aus dem Griechischen, von archein tekton, was soviel bedeutet wie „Oberster Handwerker“. Er war, denke ich, eher ein Moderator als ein Künstler – ich gehe beispielsweise nicht davon aus, dass er die Ornamente des Parthenon-Fries gemalt hat, vielmehr glaube ich, dass die Detailarbeiten an verschiedenen Gebäudeteilen – zur Zeit der Entstehung des Wortes – die Aufgabe untergeordneter Kunsthandwerker waren.
Daran würde ich den ersten Teil meiner Identität als Soundarchitekt festmachen: Obwohl ich ausgebildeter Musiker bin, arbeite ich nicht als Musiker, ebenso wie mich fundierte Technikkenntnisse nicht darauf beschränken, Spezialist für akustisches Bauen zu sein. Um jegliche Vorstellung davon zu unterhöhlen, was ein Architekt in Bezug auf die klangoptimierte, künstliche Landschaft ist, sollte man sich vielleicht jemanden vorstellen, der weder unabhängiger Komponist (der Architekt als Autor) ist, noch Musiker (oder Zimmermann), noch Dirigent.
Aus meiner Sicht trägt ein Soundarchitekt Teile dieser unterschiedlichen Persönlichkeiten in sich, ist aber am ehesten mit einem Dub-Engineer am Mischpult zu vergleichen, wobei die gebaute Umwelt selbst das Mischpult ist. Jeder Akt der Planung erstellt einen Dub der Straße.
Aber das ist nur der Teil der Definition, der wiedergibt, was ein Architekt tut, und nicht, was passiert, wenn ein Architekt tatsächlich Architektur macht. Das wäre eine vollkommen andere Bedeutung von Architektur.
Okay, vermutlich sollte ich also weiter der Tatsache nachgehen, dass du eine Abgrenzung implizierst zwischen dem, was ein Architekt ist, und dem, was er tut, wovon ich annahm, es sei schlicht und einfach Architektur. Es scheint, als würdest du klar zwischen deiner praktischen Arbeit als Architekt und der theoretischen Bedeutung der Architektur trennen. Kannst du uns einen Eindruck dessen vermitteln, was passiert, wenn ein Architekt tatsächlich Architektur schafft?
Für mich geht es weniger um den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, sondern vielmehr um jenen zwischen Erschaffung und Wahrnehmung von Architektur. Während die Erschaffung Teil meines professionellen Umgang mit Architektur ist – und auch die Ausbildung eines Architekten ausmacht – ist die Wahrnehmung ein subjektiveres Unterfangen, das für Architektur aber notwendig ist. Ohne die Wahrnehmung würde sie nicht existieren.
Der Raum ist in der Architektur meiner Meinung nach die Gesamtheit möglicher Wahrnehmungen. Und diese Gesamtheit – oder, wenn man unsere verschiedenen Sinne berücksichtigt, diese Gesamtheiten – sind nach außen hin abgegrenzt. Die Mauer, die deinen Arbeitsbereich bestimmt, kann beispielsweise von deinen Augen oder deinem Körper nicht durchdrungen werden. Sie schränkt also deine möglichen Wahrnehmungen ein. Analog dazu kann eine vielbefahrene Straße eine Mauer aus Klängen sein, die es dir unmöglich macht, die Kinder auf der anderen Straßenseite spielen zu hören. Du kannst sie vielleicht sehen, aber du hörst sie nicht.
Kurz gefasst bedeutet Architektur für mich, Grenzen zu definieren, die die Umwelt teilweise oder sogar ganz von uns abschotten und eine neue Umwelt entstehen lassen, die Reyner Banham sehr treffend als „wohltemperierte Umwelt“ bezeichnete: Einen „Innenraum“, der die neue Reichweite unserer Sinne verkörpert. So betrachtet, erschafft Architektur eine visuelle, auditive und olfaktorische Landschaft und erlaubt uns, die Atmosphären dieser Landschaft durch den Raum dazwischen wahrzunehmen.
In deinen Werken, die vielen Lesern vielleicht noch unbekannt sind, beschreibst du oft Szenarien und Räume wie beispielsweise deine Wohnung, Außentreppen, offene Fenster, Bäume, Blätter. All dies scheint nötig, um die Voraussetzungen für die akustischen Empfindungen deiner Person oder des Erzählers in einem derart leicht vorstellbaren Szenario zu schaffen. Die Klänge selbst hingegen bleiben im geschriebenen Text außen vor, bleiben gewissermaßen stumm. Du scheinst mit Vorliebe über Sound zu schreiben. Obwohl man von einem Klanggelehrten wie dir, der umfassendes Wissen über Mikrofonierung, Physik, Klanginstallationen und dergleichen hat, viel eher eine Audio-Aufnahme erwarten würde, greifst du auf eine sehr poetische, fast träumerische Sprache zurück, um damit über Fragen des Klangs zu schreiben.
Hat die jahrelange Ausbildung in Raumakustik, Musik und Klangforschung dein Vertrauen in die technische Konservierung des Klangs eher geschwächt und aus dir stattdessen einen Dichter im Sinne Hölderlins werden lassen?
Schwierige Frage. Zunächst möchte ich dich aber korrigieren und anmerken, dass es für mich nicht um das Konservieren von Klang geht. Ich kenne auch keine Architekten, die Backsteine sammeln, abgesehen von einem seltsamen französischen Postboten Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Zielsetzung meiner Arbeit ist es, die Kommunikation über einen recht komplexen Vorgang zu ermöglichen, der viele Menschen – insbesondere die Bewohner – über einen langen Zeitraum hinweg betreffen wird. Es ist eine Konversation über Klang, und es ist jedes Mal wieder anstrengend, die jeweils angemessenste Sprache zu finden.
Um die Frage nach dem, was du Poesie nanntest, zu beantworten: Für mich ist diese Arbeitsweise nur temporär, provisorisch. Als Architekt macht sie mir natürlich zu schaffen, denn ich habe immer schon Pläne skizziert und Modelle gebaut. Aber will man die Atmosphären, die man selbst erlebt oder die zukünftig erlebt werden sollen, ausdrücklich benennen, stößt die gewöhnliche visuelle Kommunikation in der Architektur an ihre Grenzen – verständlicherweise, wenn es um Klang geht. Letztlich möchte ich aber Raum und Klang selbst schreiben, und nicht bloß über sie.
Also ergab es sich eher zufällig als planvoll, dass du auf eine subjektivere, dichterische Sprache zurückgegriffen hast, ich verstehe …
Nein, nicht wirklich. Ich wollte vorrangig die visuellen und auditiven Empfindungen in einem Medium vereinen. Das war für mich das Schreiben, das zum Beispiel im Gegensatz zum Film verhindert, dass Sehen und Hören um die Aufmerksamkeit wetteifern.
Unsere Sprache ist ein eigenständiger Sinn, der sich von den anderen unterscheidet. Wie du hoffentlich auch selbst schon erleben konntest, lässt Literatur dich Stimmungen, Bilder und Klänge empfinden, ohne dass du sie im eigentlichen Sinne siehst oder hörst. Als Leser wirst du dann vom Autor geführt, treibst durch innere und äußere Welten, die Zwischenräume, durch verschiedene Arten der Wahrnehmung und durch Gedanken, die mit der gleichen Genauigkeit wie technische Beschreibungen erklären, worum sich alles dreht.
Aber bedeutet das nicht auch, dass ein geschriebener Text genauso zeitgebunden ist wie Musik? Ein fortwährender Fluß, der auch im Widerspruch zur räumlichen Erfahrungswelt stehen kann?
Ja, man könnte glauben, dass das Lesen eines Buches – ein Wortfluss, der durch das Auge des Lesers strömt – gleichwertig mit dem Hören von Musik ist, bei dem die Ohren konstant von Tönen umspült werden. Aber der Klang der Musik ertönt im Jetzt des Hörers und ist nicht in der Lage, ihn in eine andere Zeitebene zu versetzen. In der Musik gibt es kein Vorher nach einem Jetzt, zu dem man zurückgehen könnte, sie erzählt also eine unumkehrbare Geschichte, während unsere Sprache bereits mehrere Zeitebenen mit sich bringt. So lässt sie einen Zeitrahmen entstehen, der unabhängig von dem des Lesers ist.
Im besten Falle ist mein Schreiben ein metrophonisches Driften durch verschiedene Wahrnehmungsweisen. Aus diesem Grund suche ich nach einem polyphonen Text, der wie ein architektonischer Grundriss gelesen werden kann. Das bedeutet: Es gibt keinen Anfangs- und Endpunkt, deine Augen und Ohren setzen vielmehr die ganze Geschichte des Raumes frei und beinahe willkürlich zusammen. Derzeit arbeite ich an einem Projekt, das aus Text, Plänen, Sprache und Klängen in einem locker verwobenen, szenographischen Gesamtbild besteht.
Dieses Bestreben spiegelt sich auch schön darin wieder, wie aufwändig das Design deiner Arbeiten und Essays ist. Ich meine, du achtest nicht nur auf grafische Gestaltung, du entwickelst auch wirklich interessante Verpackungen, für die du auf eine Ästhetik aus technischen Zeichnungen oder Bauplänen zurückgreifst. Ist das eine Grundvoraussetzung für deine Texte, oder kann dieses angesprochene Gesamtbild auch als profanes Taschenbuch funktionieren?
Im Hinblick auf die Vermarktung der Arbeiten sollte es wohl heißen: „Ja, sie funktionieren auch im Buchformat!“ Aber das tun sie sicher nicht. Wie bereits gesagt, sollte es ein Dahintreiben durch unterschiedliche Schichten sein, kein einfaches Lesen, Seite für Seite. Das Planformat der einzelnen Seiten mag zwar unhandlich sein, aber ich glaube, so gleicht das Leseerlebnis viel eher dem Lesen einer Karte, die einen durch den Raum leitet.
Zum Thema Autos und Straßengeräusche: Deine Arbeit bezieht sich oft auf die Anfänge des Futurismus; unlängst hast du dich in einem Magazinbeitrag (Atlas 31, la citta suonante) auf kreative, klangorientierte Weise mit der unsäglichen Debatte über die Dresdener Waldschlösschenbrücke befasst. In deiner neuesten Arbeit, Metrophonie No 1, betrachtest du das deutschlandweite Autobahnnetz als überdimensionale Sound-installation, deren Klang wir leider nicht zu hören imstande sind, weil wir dafür hoch über dem Land schweben müssten. Ebenso beschäftigst du dich mit der berühmten avus und schlägst vor, aus ihr ein Freilichtmuseum zu machen, in dem Gäste auf den alten Zuschauerrängen sitzen (die in deiner Begriffswelt Zuhörerränge wären?) und der tosenden Schnellstraße vor ihnen lauschen könnten.
Wie wirken sich Autogeräusche deiner Meinung nach auf uns aus? Sollten sie weiter eingedämmt werden? Oder siehst du möglicherweise eine ästhetische, gar angenehme Rolle, die dieser oftmals verteufelte Lärm in unserem Leben übernehmen könnte?
Stell dir einfach vor, die Sonne wäre nicht das Gestirn, das uns Licht und Wärme gibt, sondern La Monte Youngs brummendes Klanggestirn. Wenn man nichts mehr sehen könnte, wenn man nur einen nie endenden Klang von oben und dessen Widerhall von unten und von der Seite hören könnte, würden wir irgendwann wie Fledermäuse durch die Straßen schwärmen. Wir würden selbst keine Töne von uns geben, sondern diejenigen nutzen, die bereits vorhanden sind. Doch die Evolution hat einen anderen Weg gewählt. So haben wir zwar heute dieses permanente Dröhnen auf unseren Straßen, aber unser Gehör hat sich noch nicht daran gewöhnt. Wir können die Ohren nicht wie die Augen schließen, und das wird sich in naher Zukunft wohl auch nicht ändern.
Deswegen halte ich es für an der Zeit, räumliche Klangfilter zu bauen, die gesamte Stadt künftig als eine Filterbank zu betrachten, die oszilliert und resoniert.
Beziehst du dich dabei auf die Stadt als architektonische Struktur oder auf die Stadt als Lebensraum, also auch inklusive ihrer Einwohner und anderer Entitäten darin?
Eigentlich auf beides, aber auf getrennte Art und Weise. Da hilft es nochmal, sich [den Paten des Dub] Lee Scratch Perry am Mischpult vorzustellen. Das Mischpult und die Patchbay mit ihren Schaltungen und Effekten sind ähnlich der gebauten architektonischen Struktur und Infrastruktur. Sie definieren, in Grundrissen wie in Schaltplänen, die Leitungen und Wege, die von den Klängen durchflossen werden. Was dann aber wirklich klingt ist ja nicht das Mischpult, die Metropole, sondern die Menschen und all die Sachen, die diese machen. Autofahren, U-Bahnfahren, Musik hören, schreien, et cetera. Und all das ist nur bedingt vom Dubmaster definiert.
Zum Mix, zur Mischung gelangen die technische Struktur und die menschgemachten Schallsignale dann im Raum, in dem aktiv Orte definiert sind, an denen bestimmte Klänge entstehen. Andererseits aber die Akustik dieser Orte wiederum passiv darauf reagiert, und je nachdem mit absorbierendem, reflektierendem oder zerstreuendem Charakter die Klänge transformiert.
Deswegen komme ich auch so oft auf den Futurismus zurück, besonders auf Marinetti und Russolo. Letzterer forderte schon vor fast hundert Jahren, Geräusche als Rohstoff zu nutzen, und sie in eine geformte Klangumwelt zu überführen. Das wurde nie in dem Maße umgesetzt, in dem es erdacht wurde, und inspiriert mich darum auch heute noch. Stell dir eine vielbefahrene Straße in der Stadt vor, deren Fassaden nicht aus Stein, Stahl und Glas bestehen, sondern aus einem Meter dickem Schaumstoff. Das wäre eine völlige Veränderung.
Beschreibe uns bitte, wie das klingen würde.
Das war nur ein angedachtes Szenario. Stell dir die Stille einer Stadt vor, nachdem im Winter Schnee gefallen ist, so ähnlich könnte das sein. Solche Manipulationen wären nur ein erster Schritt dazu, den Sound der Straße durch Regler, Feinjustierungen und Transformationen zu einem zusammenhängenden, metrophonischen Klangbild zu machen. Wie das im Detail klingt, hängt natürlich von der jeweiligen Situation und ihren Klangquellen ab. Wir werden sehen, wann wir die erste klanglich gestaltete Stadt haben.
Genauso wie wir hier an der Zeitmauer scheinst du gerne mit der faszinierenden Vorstellung zu spielen, den ursächlichen Zeitfluss umzukehren, und damit das Abstrahlen und Verfliegen des Klangflusses. In deiner neuesten Arbeit, der Berlin Metrophonie, beschreibst du den Besuch einer Soundinstallation, und wie das kritzelnde Geräusch eines Stiftes deine Aufmerksamkeit auf sich zieht und du das Gehörte getreulich im Geschriebenen festhalten möchtest – genau entgegengesetzt zum eigentlichen Weg der Klänge, wie wir sie von einer Vinylschallplatte abspielen –, dass es für andere durch Auslesen wieder abhörbar wird. Diesen Abschnitt sollten wir wohl zitieren, um seinen Zauber zu vermitteln:
“Hier hatte jemand mit allerhand technischen Gerätschaften diese Wohnung ausgestattet, und da, wie ich auf dem Bett lag, die Leere der Zeit meditierend, hörte ich, wie sich das Kratzen eines Federhalters […] in den Räumen verfing. […] Nach einer halben Seite schwang sich das Kratzen auf; auf zu einem großen Vogelschwarm, da gleich hinter dem Türdurchgang zum Flur. Ein mächtiges Flügelschlagen, das sich erhob, endlos an dieser Öffnung vorbeizuziehen, die abgründiger wurde, je länger sie so durchklungen ward.
Die Klänge kamen von nebenan, doch aus einem Raum, den ich nie betreten können würde. Ein okkulter Raum, dem Auge verschlossen, so weit und tief man auch durch die Öffnung des Türrahmens blicken mochte. Auf meine daliegende Entblößtheit legte der unsichtbare Klang die bedeckende Umhüllung dieser Magie des Unmöglichen. Ein diaphaner Vorhang, mehr noch: Umhang, der sich vor meine rationale Erkenntnis schob. Was in dem Zimmer, in dem ich mich befand, Klänge waren, die aus gut sichtbaren Boxen kamen, waren im anderen Zimmer schon Klänge, die einer anderen Welt entströmten.
Das Flattern wollte nicht enden, und ich fragte mich, ob es womöglich sein konnte, diesen Vogelschwarm, der hier aus den Klängen einer Füllfeder entfleucht war, nicht ebenso wieder einzufangen: Wie eine lebende Neumann-Schneidemaschine, die ansonsten die Schwingung des Schalls mit vibrierender Nadel in die Mutterform der Schallplatten einritzte, nunmehr mit den suchenden Fingern einer mitschwingenden Seele die Klänge in die weiße Fläche vor mir einfließen zu lassen, und ebenso wieder auslesbar machen zu können?”
(Brief excerpt from the second movement, Metrophonie No 1, Olaf Schäfer, Berlin 2008)
Auf mich wirkt es, als wäre eine wichtige treibende Kraft deines Umgangs mit Klang dessen Vergänglichkeit, seine Unkörperlichkeit, sein flüchtiges Wesen; ganz im Gegensatz zu Steinen und Holz, aus denen wir unsere Häuser und Möbel bauen. Ist das kein riesiges Problem, wenn man Klang entwirft, beschreibt, plant? Was lässt dich trotzdem weitermachen?
Das ist eine interessante Sichtweise: Wenn du sagst, die Unkörperlichkeit des Klangs sei eine treibende Kraft für mich ist, gebe ich dir Recht und sage: Das gefällt meinem Idealismus.
Aber andererseits frage ich mich, wie lange diese bildliche Vorstellung dessen, was Materialität und/oder Immaterialität ist, noch bestehen wird. Es ist doch nur die Vorstellung dessen, was „Material“ eigentlich ist, die dich denken lässt, Klang sei immateriell. Wie ich schon beschrieben habe, ist Schall etwas Physikalisches und kann fest wie eine Mauer sein.
Durch Lautstärke und Bandbreite kann Schall so eine Dichte erreichen, dass man mit seinem Gehör nicht weiter zu einer anderen Schallquelle durchdringen kann. Ich sehe darin keinen Unterschied zu einer Mauer, die der Körper nicht durchschreiten kann oder Nebelschwaden, die für den Sehsinn undurchlässig sind. Letztlich sind das alles gewissermaßen Membranen, die beeinflussen, wie der von ihnen umgebene Raum wahrgenommen wird. Das würde ich keinesfalls Immaterialität nennen. Warum sollte ich also aufhören, mich mit Klang zu beschäftigen? Klänge wird es immer geben. Ich kann dir genau sagen, wann der Fernseher meiner Nachbarn wieder sein komprimiertes, tiefpassgefiltertes Gegrummel von sich gibt. Und es ist an der Zeit, stärker auf die unbedachten, formlosen Klänge zu achten, die Geräusche, die uns täglich umgeben, und an ihnen zu arbeiten.
Nun zu zwei Fragen, die wir in all unseren Interviews über Zeit und die ihr verwandten Phänomene stellen. Du darfst natürlich gerne kurz antworten, passen oder schweigen. Zunächst die große Streitfrage: Was ist Zeit?
Ich finde, Zeit ist überbewertet. Wieso nicht einfach loslassen? Vergesst die Zeit! Es ist alles nur Kopfsache. Ich habe nie viel darüber nachgedacht, und ich habe die unglücklichsten Phasen meines Lebens durchgemacht, als ich dachte, mir darüber Gedanken machen zu müssen.
Wenn ich weitergehend darüber nachdenke, würde ich sie gerne als zusätzliche Dimension einer multimodalen Wahrnehmung betrachten. Meiner anfänglichen Definition von Raum folgend, ist Zeit – auf sehr ähnliche Weise – die Gesamtheit möglicher Empfindungen, eingeschränkt nur durch eine Grenze am Lebensende.
Welche Rolle spielt Zeit bei deiner eigentlichen Arbeit, dem Beschreiben, Aufnehmen und Planen von Klängen?
Meine Antwort ist so kurz wie deine Frage: Zeit spielt in meiner Arbeit keine inhärente Rolle.
Schön gesagt, Olaf. Ich bin sicher, wer auch immer gerade unser ganzes Gespräch durchgelesen hat, wird bemerken, wieviel Olaf Schäfer in deiner letzten Antwort steckt. Ich möchte festhalten: Du bist ein wahrer Meister der Zeit und legst vielleicht genau deswegen nicht mehr viel Wert darauf, so wie auch ein Zimmermann im Schlaf nicht unbedingt vom Holz im Wald träumt.
Ha, ich wollte ja schon immer Waldarbeiter sein, mit der Betonung auf Sein. Glaub mir, es dreht sich alles darum, in den Raum zu kommen *).
Vielen herzlichen Dank, Olaf.
*) Vermutlich eine Anspielung auf und Abwandlung von La Monte Youngs “One must get inside the sound”.
Das Gespräch fand im Februar 2008 in Berlin und Leipzig statt, während Olaf Schäfer seine Metrophonie No 1 beendete. Das Bild zeigt Olaf Schäfer, 2007, photographiert von Hannes Woidich. Olaf ist zu erreichen unter olaf [at] urbanresonance.org.
Aus dem Englischen von Ralf Theil für hmbrg 4 Media, rt [at] hmbrg4.de.
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